Barbara Keidel

Spiegel im Sessel, 1968

Öl auf Leinwand

60,5 × 50,5 cm

 

Werkbeschreibung:
Das Gemälde zeigt eine abstrahierte Innenraumszene mit einem großen, gestreiften Sessel, in den ein runder Spiegel eingebettet ist. Die Polsterung des Sessels ist durch kräftige, vertikale Streifen in Rot, Grün und Beige gestaltet, die sich über die gesamte Oberfläche ziehen und einen leicht gewellten Verlauf haben. Die Textur der Farbe ist pastos, mit sichtbaren Pinselstrichen, die der Oberfläche eine lebendige Struktur verleihen.

Der Spiegel, zentral im unteren Bereich des Sessels positioniert, reflektiert das Gesicht einer Person. Der Kopf ist auf dem Kopf stehend dargestellt, mit weichen Gesichtszügen, geschlossenen oder halbgeschlossenen Augen und einem nachdenklichen oder leicht verzerrten Ausdruck. Der Spiegelrahmen ist weiß, mit einer angedeuteten Schwarz-Weiß-Randgestaltung, die ihn optisch vom gestreiften Polsterstoff absetzt.

 

Katalogtext:
Die Künstlerin wurde 1939 in Berlin geboren und verstarb ebenda 2021. Ihr malerisches Werk zeichnet sich aus durch eine konsequente Entwicklung von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion. Sie studierte von 1959 bis 1964 an der Hochschule der Künste Berlin (seit 2001 Universität der Künste) bei Ludwig Gabriel Schrieber, bei dem sie später Meisterschülerin war. In den 1960er und 1970er Jahren arbeitete sie gegenständlich, häufig mit verfremdenden Farbkonstellationen im Stil der deutschen Pop-Art. Später wandte sie sich verstärkt der Abstraktion zu und reduzierte ihre Werke auf Farbflächen, die von jahreszeitlichen Stimmungen und Naturbeobachtungen inspiriert waren. Eine Besonderheit ihrer Arbeit war die Vorliebe für unkonventionelle Formate wie runde, ovale oder vieleckige Leinwände sowie Paravents als skulpturale Objekte im Raum. Auch in Drucktechniken war sie intensiv tätig. Barbara Keidel erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1965 den Preis der Karl Hofer Gesellschaft und 1996 den Lithografiepreis des Vereins für Original-Radierung in München. 1997 wurde sie mit einem Arbeitsstipendium der Villa Waldberta in Feldafing gefördert. Sie war Mitglied im Deutschen Künstlerbund, der Neuen Gruppe in München, im Westdeutschen Künstlerbund sowie im Verein für Original-Radierung in München. 2008 unterrichtete sie an der Chinesisch-Deutschen Kunstakademie in Hangzhou. Barbara Keidel war seit 1965 mit dem Bildhauer Michael Schoenholtz (1937–2019) verheiratet. Das Ehepaar hatte eine Tochter. Barbara Keidel wurde neben ihrem Mann auf dem Friedhof Schöneberg III in Berlin beigesetzt. Spiegel im Sessel aus dem Jahr 1968 gilt als das einzige erhaltene Selbstporträt der Künstlerin. Die scheinbar zerschlissene Sitzgelegenheit – Möbel waren ein wiederkehrendes Motiv bei Keidel, so auch in ihrem Beitrag für den ersten Mai-Salon 1971 im Haus am Lützowplatz – ist so exakt in das Format des Gemäldes eingepasst, dass die perspektivische Tiefe des Bildraums nahezu aufgehoben erscheint gegenüber der geometrischen Flächigkeit der Komposition.

Text: Marc Wellmann