2025 feiert das Haus am Lützowplatz (HaL) sein 65-jähriges Bestehen und ist damit der älteste Kunstverein Berlins. Aus diesem Anlass stellt das Haus seine Gründung in den Mittelpunkt einer kritischen
Rückbesinnung und fokussiert das kulturpolitische Engagement des Vereins. Die Ausstellung »Berliner Realistinnen« versteht sich als ein genderpolitisches Reenactment einer Präsentation der West-Berliner Kunstszene aus dem Jahr 1971: »1. Mai Salon. Berliner Realisten 71«.
Kritischer Realismus prägte um 1970 die West-Berliner Avantgarde und galt als politisch aufgeladener Gegenentwurf zur Abstraktion. Rückgriffe auf die Kunst der Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik verbanden sich mit einer Reflexion des Lebens in der geteilten Stadt. Konrad Jule Hammer, der erste künstlerische Leiter des HaL, erkannte darin eine Übersetzung für die Aufbruchstimmung der einst revolutionären Mai-Kundgebungen von Sozialdemokratie und Gewerkschaften und schrieb im Ausstellungskatalog: »Der 1. Mai Salon […] reflektiert unsere Gegenwart, die kritischen ›Siebziger‹ und die ideologische Trümmerlandschaft 100 Jahre nach Bismarcks Reichsgründung.«
Dieser erste 1. Mai-Salon umfasste 28 Werke. 27 davon waren von männlichen Künstlern wie Hans Jürgen Diehl, Johannes Grützke, Matthias Koeppel, Marwan, Wolfgang Petrick und anderen stammten. Viele dieser Künstler waren auch in den Folgejahren mit Einzelausstellungen oder bei weiteren Projekten des Hauses vertreten. Damit begann eine bis 1990 anhaltende Reihe von »1. Mai-Salons«, die das HaL als sozialpolitisch engagierte Institution bis heute prägt.
Im Jahr 2025 werden ebenfalls 28 Werke gezeigt. Als bewusste Geste für Gleichberechtigung – in Verbindung mit dem Internationalen Frauentag am 8. März und in Kooperation mit der Initiative „fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen e.V.“ – sind alle Beteiligten weiblich oder als weiblich lesbar.
Gleichsam im Zentrum der Ausstellung steht eine Arbeit von Barbara Keidel (1939–2021), der einzigen 1971 beteiligten Künstlerin. Inhaltlich lehnt sich die Ausstellung an den in den 1970er Jahren verhandelten Realismusbegriff an und erweitert diesen zum Stilpluralismus der Gegenwart, der sich auf der Basis individueller Wirklichkeitskonzepte von Foto- und Hyperrealismus bis hin zum magischen Realismus erstreckt.
»Das Persönliche ist politisch.« Diese Losung rief die feministische US-amerikanische Aktivistin Carol Hanisch 1969 aus. In diesem Sinne findet sich in den Gemälden, Zeichnungen und Plastiken der seit den 1970er-Jahren geborenen Künstlerinnen auch ein Blick auf aktuelle genderspezifische Aspekte. Die Werke repräsentieren einen zeitgenössischen weiblichen Großstadtrealismus, der auf das Leben in der seit 1989 wiedervereinigten Metropole reagiert.