Florence Obrecht

Faire des Picasso (Roselyne), 2020

Öl auf Holz / oil on wood

30 × 24 cm

 

Werkbeschreibung:
Das Porträt zeigt eine Frau mit langen, braunen Haaren, die offen über ihre Schultern fallen. Ihr Gesicht ist zur Hälfte mit leuchtenden Farben bemalt – eine Mischung aus Gelb, Rot, Weiß und Schwarz –, die stark an Picasso-inspirierte, abstrakte Masken oder Kriegsbemalung erinnern.

Die linke Gesichtshälfte ist größtenteils gelb mit weißen Akzenten, während die rechte Seite intensiv rot-orange leuchtet. Schwarze, grafische Linien betonen ihre Augen und Wangen, mit tropfenartigen Elementen, die an verlaufende Farbe oder geschminkte Tränen erinnern. Die Lippen sind halb grün, halb rot, was die farbliche Verzerrung des Gesichts noch verstärkt.

Die Augen sind realistisch und ausdrucksstark gemalt, mit einem offenen, leicht fragenden Blick, der den Betrachter direkt ansieht. Der Hintergrund ist diffus und wirkt wie ein angedeuteter Innenraum mit geometrischen Formen, die an Fenster oder Gemälde erinnern könnten.

 

Katalogtext:
Florence Obrecht wurde 1976 in Metz/Frankreich geboren und studierte von 1995 bis 2001 an der École nationale supérieure des beaux-arts (ENSBA) in Paris. 1997 verbrachte sie ein Gastsemester an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Zwei Jahre später folgte ein Studienaufenthalt am Hunter College in New York, ermöglicht durch das Colin-Lefrancq-Stipendium. Im Jahr 2000 wurde die Künstlerin mit dem ersten Preis der Coprim- Stiftung ausgezeichnet. Mit einem Égide-Stipendium konnte sie 2001 ein Postgraduiertenstudium in Sofia/Bulgarien absolvieren. 2003 erhielt sie den Preis des AIAP/UNESCO in Monaco. Seit 2009 lebt und arbeitet sie in Berlin. Florence Obrecht malt seit einigen Jahren fast ausschließlich Frauen. Die Werke entstehen in einem kollaborativen Prozess auf der Grundlage intensiver Gespräche mit den Modellen und eines Austauschs von Ideen über Kostüme, Make-up, Posen oder die Szenerie. Auf diese Weise möchte Obrecht die traditionell hierarchische Beziehung zwischen Künstler:in und Modell umkehren. Die hier ausgestellte Arbeit stammt aus einer 2020 begonnenen Serie mit dem Titel Faire des Picasso („Picassos machen“). Die ins Atelier eingeladenen Freundinnen konnten jeweils ein Werk des immer noch wirkmächtigen spanischen Künstlers auswählen, mit dem sie sich identifizieren. Obrecht wurde anschließend auf mehreren Ebenen schöpferisch tätig: Zunächst übertrug sie das entsprechende Werk Picassos auf das Gesicht des Modells – eine künstlerische Praxis, die man motivisch anders gelagert vorwiegend mit Kindergeburtstagen oder Karneval assoziiert. Anschließend fotografierte sie die so maskierte Frau und übertrug die finale Fotovorlage in ihrer charakteristischen Malweise detailgenau in Öl auf Holz. Die Künstlerin stellt dazu fest: „Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich diesem Künstler, den ich sehr bewundere (neben Bacon, Bourgeois und Kelley als bedeutende Positionen des 20. Jahrhunderts), mit dieser Serie nicht eine lange Nase mache.“ Obrecht imitiert Picasso nicht; sie appropriiert ihn und verleiht seinen Werken gemeinsam mit der jeweils im Titel benannten Komplizin – hier Roselyne – eine neue Bedeutungsebene.

Text: Marc Wellmann