Marie Aly

Because the night I & II, 2024

Öl auf Leinwand

Je 65 × 45 cm

 

Werkbeschreibung:
Das Bildpaar zeigt zwei Porträts, die stilistisch eng miteinander verbunden sind, aber zwei verschiedene Personen darstellen – eine eher männlich gelesene Figur im ersten Bild und eine eher weiblich gelesene im zweiten. Beide Werke sind in einem expressiven, surrealen Stil gemalt und geprägt von intensiven Blau-, Lila- und Rottönen, die eine nächtliche, fast mystische Atmosphäre erzeugen.

Erstes Bild (männlich gelesene Figur):

Die Figur wird in einer seitlichen Ansicht gezeigt, mit dem Kopf leicht nach rechts gewandt. Ihr Gesicht hat markante, kantige Züge mit einer starken Nase, buschigen dunklen Augenbrauen und einem dünnen, geschwungenen Schnurrbart. Die Haut ist von tiefen Rot- und Magentatönen geprägt, während Schatten in dunklem Blau und Violett gesetzt sind. Die Augen wirken leicht verengt, mit gelblichen, fast glühenden Pupillen, was der Figur einen nachdenklichen, vielleicht skeptischen Ausdruck verleiht.

Das Haar ist lang, gewellt und silbrig-weiß, mit feinen, geschwungenen Linien, die Struktur und Bewegung andeuten. Die Figur hat einen langen, schlanken Arm mit übertrieben elegant geformten Fingern, die in einer anmutigen Geste erhoben sind. Die Nägel sind spitz und orangefarben lackiert, ein goldener Ring schmückt eine Hand.

Die Kleidung ist dunkel mit geometrischen Mustern in Schwarz und Blau. Der Kragen des Gewandes ist geschwungen und in einem leuchtenden Blauton gehalten. Unten im Bild steht ein kleiner Weinkelch auf einer runden, violetten Tischfläche.

Zweites Bild (weiblich gelesene Figur):

Diese Figur wird frontal dargestellt, mit einem direkten Blick, der fast hypnotisch wirkt. Ihr Gesicht ist weicher als das der ersten Figur, aber weiterhin markant mit dichten, dunklen Augenbrauen und einem dunklen, leicht geschwungenen Mund. Die Hautfarben bestehen ebenfalls aus kräftigem Rot und Magenta, doch hier wirken sie noch intensiver und lebendiger. Die Augen haben eine rötlich-pinke Färbung, was ihnen eine fast übernatürliche Präsenz verleiht.

Das Haar ist ebenfalls lang und gewellt, jedoch weicher und noch leuchtender – es scheint von innen heraus zu glimmen und bildet einen sanften, fast nebelartigen Schein um das Gesicht. Der dunkle Hintergrund verstärkt diesen Effekt und verleiht der Figur eine träumerische, fast entrückte Erscheinung.

Die Kleidung ähnelt der des ersten Porträts: ein schwarzes Gewand mit geometrischen, handgezeichneten Mustern. Der blaue Kragen ist hier noch deutlicher erkennbar und erinnert an ein dekoratives, fast historisch inspiriertes Design. Wie im ersten Bild steht im Vordergrund ein Weinkelch auf dem runden Tisch, was eine symbolische Verbindung zwischen den beiden Figuren schafft.

Katalogtext:
Marie Aly wurde 1980 in Berlin geboren. Nach einem Studium der Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg von 2000 bis 2002 studierte sie bis 2007 Malerei an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) in Dresden und an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris. 2009 schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin von Ralf Kerbach an der HfBK in Dresden ab. Von 2008 bis 2010 nahm sie am Residenzprogramm von De Ateliers in Amsterdam teil. 2009 wurde sie mit dem niederländischen Royal Award for Modern Painting ausgezeichnet, gefolgt von einem Starter-Stipendium des Mondriaan Fund im Jahr 2010. 2018 gewann sie den ersten Preis für Kunst am Bau für das Schadowhaus des Deutschen Bundestags in Berlin. Von 2019 bis 2022 hatte sie einen Lehrauftrag für Malerei und Zeichnung an der HAW Hamburg inne.

In ihren Bildern hebt Marie Aly Grenzen auf, indem sie binäre Systeme hinterfragt und immer wieder die Verbindung zwischen Mensch und Tier thematisiert. Ihre Werke zeichnen sich durch den Einsatz fluoreszierender Farben aus. Während des Malprozesses tritt sie in ein Zwiegespräch mit ihren Figuren, die sowohl Selbstporträts als auch Bildnisse anderer sein können und häufig Anspielungen auf Werke der Kunstgeschichte enthalten. Aly ist von Surrealismus und der Renaissance ebenso fasziniert wie von Neuer Sachlichkeit und naiver Malerei. Ihre künstlerische Welt ist durchdrungen von einer magischen Atmosphäre, in der die Figuren wie Märchengestalten aus fernen Zeiten erscheinen.

Die Titel ihrer Werke sind stets von Songs und Songtexten inspiriert, so auch bei den beiden aufeinander bezogenen Arbeiten Because the Night I und II, die sich auf Patti Smiths gleichnamiges Lied beziehen. Das Diptychon zeigt zwei einsam wirkende, schweigende Gestalten der Nacht. Die Geschlechter der dargestellten Figuren sind nicht eindeutig zu identifizieren: beide tragen Bärte, Nagellack, Ringe und Kajal um die Augen. Im Spiel mit Identität und Geschlecht liegt die Selbstbestimmung augenscheinlich darin, nicht festzulegen, wer oder was sie sind.

Text: Sarah Letzel