Tanja Selzer
Daphne I, 2021
Öl und Grafit auf Leinwand /
70 × 50 cm
Werkbeschreibung:
Das Gemälde zeigt eine menschliche Figur, die sich in einer fließenden, fast auflösenden Bewegung befindet. Die Hauptfigur ist nackt und sitzt auf einem angedeuteten Untergrund, der wie ein Baumstamm oder eine natürliche Oberfläche wirkt. Der Körper ist seitlich dargestellt, der Rücken ist gewölbt, und der Kopf scheint sich nach oben oder zur Seite zu drehen.
Die Malweise ist expressiv, mit weichen, verwischten Pinselstrichen, die den Körper in die Umgebung einfließen lassen. Besonders die Konturen der Beine und Arme lösen sich in farbige Spuren auf, wodurch ein Gefühl von Transformation und Vergänglichkeit entsteht.
Die Farbpalette ist eine Mischung aus sanften Hauttönen, warmen Braunschattierungen und erdigen Grüntönen, die an eine natürliche Landschaft erinnern. Der Hintergrund enthält abstrakte, pflanzenartige Formen mit weißen, grünen und blauen Farbakzenten, die wie Blätter oder Blüten wirken. Die Farben verlaufen teilweise in tropfenden Strukturen, was dem Bild eine spontane, dynamische Energie verleiht.
Katalogtext:
Tanja Selzer wurde 1970 in Idar-Oberstein/Rheinland-Pfalz geboren. Von 1993 bis 1998 studierte sie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Fachbereich Gestaltung. Sie ist Mitglied des 2015 gegründeten MalerinnenNetzWerks Berlin–Leipzig (MNW). Als Malerin ist Selzer an Fotos und Found Footage aus den digitalen Medien interessiert. Die individuelle Bedeutung dieses Materials überführt sie in neue Zusammenhänge. Sie entwickelt daraus Motive, die Menschen im Zustand paradiesischer Nacktheit in arkadisch anmutenden Landschaften zeigen. Schemenhaft und geheimnisvoll werden sexuelle Handlungen, Lust oder die Idee davon zu ihren Sujets. Der gestisch lasierende Auftrag einer pastellfarbenen Palette verbindet sich in den Bildwelten mit einer impressionistischen Lichtstimmung. Mit hoher Sensibilität widmet sie sich den vegetabilen Formen, die das fließende Inkarnat ihrer Protagonist:innen umgeben. Die Gemälde ließen sich pornografisch sehen und deuten, erfahren über ihre Titel aber eine gänzlich andere Verortung. Das Gemälde Daphne I verweist auf die Metamorphosen des antiken römischen Dichters Ovid. Die Nymphe Daphne wird darin vom Sonnengott Apoll begehrt und bedrängt. Doch bevor es ihm gelingt, ihrer habhaft zu werden, verwandelt sich ihr schöner Körper in einen Lorbeerbaum. Selzers Daphne scheint Apoll bislang entkommen zu sein. Diesen Eindruck unterstreichen zwei weitere Gemälde der Serie: Daphne II und III. Darin blickt die Dargestellte entschlossen auf die Betrachtenden zurück. In diesem Kontext könnte das Motiv als ein Akt weiblicher Selbstermächtigung gelesen werden, bei dem Daphne ihrem Verfolger nicht länger durch den Schutz der Rinde entkommen muss. Möglicherweise stellt der Baumstamm, auf dem sie lustvoll triumphierend sitzt, schließlich sogar eine Metamorphose ihres Peinigers dar. Das Spiel mit solchen Bedeutungsverschiebungen zeichnet Selzers Werk aus und eröffnet reiche Fantasieräume.
Text: Asja Wolf