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Eröffnung: Dienstag, 8. April 2014, 19 Uhr
„Die kritische Funktion der Fantasie liegt in ihrer Weigerung, die vom Realitätsprinzip verhängten Beschränkungen des Glücks und der Freiheit als endgültig hinzunehmen, in ihrer Weigerung zu vergessen, was sein könnte“.
(Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1957, S. 130)
Halluzinationen lassen sich als Krise der Repräsentation beschreiben: Was wirklich scheint, ist lediglich das Produkt der Einbildungskraft oder einer Sinnestäuschung, hervorgerufen durch psychische Prozesse oder unter dem Einfluss narkotischer Substanzen. Entscheidend ist die Wirklichkeitsnähe der Halluzination beziehungsweise ihr Status als Realität in der Vorstellung des Halluzinierenden, welche von der echten Realität in wesentlichen Punkten abweichen kann. Derartige Erscheinungen wurden bereits in der Antike im Hinblick auf die kreative Macht menschlicher Fantasie und mitunter als göttlich inspirierte Visionen beschrieben, doch wurden sie ab dem 19. Jahrhundert zunehmend pathologisiert als Gegenstand der klinischen Psychiatrie. Wer etwas sieht, was andere nicht sehen, ist gemeinhin verrückt und steht außerhalb der normierten Gesellschaft.
Das Absonderliche, Ver-rückte und Abgründige steht nun im Mittelpunkt der Ausstellung „Die Halluzinierte Welt – Malerei am Rand der Wirklichkeit“ im Haus am Lützowplatz. Auf die Malerei übertragen verweist der Begriff Halluzination zunächst auf ein korruptes Verhältnis zur Wirklichkeit. Die Regeln der Mimesis scheinen außer Kraft gesetzt. Brechungen und Störungen treten in den Vordergrund, in denen das Medium der Abbildung selbst spürbar wird. Doch benennt der Begriff auch eine spezifische generative Fähigkeit der Malerei, eine eigenständige Sichtbarkeit zu erzeugen. Während etwa Skulpturen durch die Verhaftung an das Material stets ein Teil unserer tastbaren dinglichen Wirklichkeit bleiben, kann sich die Malerei als ungreifbares Fantasma von ihr lösen. Verwoben im alternativen Realitätsentwurf manifestieren sich unsere Triebe, Wünsche oder Ängste.
Das Thema einer vom Fantastischen durchdrungenen Wirklichkeit ist in der Malerei seit Jahrhunderten behandelt worden – beispielsweise in den Visionen von Hieronymus Bosch aus dem 15. Jahrhundert. Doch während in der Vergangenheit das Übernatürliche einen eigenen, auf einer kollektiven Religiösität fußenden metaphysischen Status besaß, erschließt sich die heutige Präsenz von randständigen Weltentwürfen inmitten unserer durchrationalisierten, säkularisierten Kultur mit völlig anderen Kategorien. Die für die Ausstellung ausgewählten elf Künstlerinnen und Künstlern aus Berlin, Leipzig, Hamburg und London repräsentieren eine sehr breite Strömung in der aktuellen Malerei, die sich mit ähnlichen Ansätzen gegen die faktische Macht des „Realitätsprinzips“ (Marcuse) positioniert. Die Begrenzungen unseres Ausstellungsraums verlangten nach einer erheblichen Reduktion des vorhandenen künstlerischen Angebots. Das Thema scheint zeitlos und aktuell zugleich, auch wenn man an die nicht abschwellende Welle entsprechender Produkte aus der Populärkultur denkt. Zudem sind wir, insbesondere in Großstädten, geradezu umstellt von der Fiktionsmaschinerie der Werbung. Viele Künstler reagieren auf die damit verbundene Wirklichkeitserfahrung mit den Mitteln des Samplings, doch noch prägender scheint der geradezu ubiquitäre Umgang unserer Zeit mit den digitalen Welten des Internets geworden zu sein. Das Internet ist in den letzten zwanzig Jahren ein gigantischer Resonanzraum geworden, der sich gleichsam hinter der Wirklichkeit aufgetürmt hat. Wir haben es dabei mit einer fraglos wirklichen, das heißt existierenden, aber dennoch ungreifbaren „Schattenwelt“ zu tun, die die Wahrnehmung der physischen Realität immer mehr beeinflusst.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Marc Wellmann.
Mit Werken von:
Tilo Baumgärtel
Emmanuel Bornstein
GL Brierley
Philip Grözinger
Eckart Hahn
Ruprecht von Kaufmann
Michael Kirkham
Bernhard Martin
Justine Otto
Alex Tennigkeit
Herbert Volkmann
Medienpartner:
Coverbild: Tilo Baumgärtel, Helia, 2013, Oil on canvas, 200 x 150 cm (Detail), Courtesy Galerie Kleindienst, Leipzig
Pressestimmen (Auswahl):
Süddeutsche.de: Einem Mann fällt das Gesicht aus dem Gesicht, ein anderer lässt sich unschön von innen betrachten, eine Künstlerin lässt sich zerfleischen: Die Ausstellung „Malerei am Rand der Wirklichkeit“ in Berlin zeigt aber auch Pittoreskes. (Ruth Schneeberger)
http://www.sueddeutsche.de/kultur/malerei-ausstellung-in-berlin-chihuahua-des-todes-1.1934190
Der Tagesspiegel: „Mythen, Monster, Mutationen: Das Haus am Lützowplatz zeigt mit der Ausstellung „Die halluzinierte Welt“ einen faszinierenden Einblick in die Fantasiewelten zeitgenössicher Malerei.“ (Simone Reber)
http://www.tagesspiegel.de/kultur/malerei-am-rand-der-wirklichkeit-volle-droehnung/9922786.html
taz: All das, was man bei dem Titel der Ausstellung „Die halluzinierte Welt. Malerei am Rand der Wirklichkeit“ erwartet, ist da; die Beschwörung kindlicher Fieberträume, man assoziiert alte Kinderbücher wie „Peterchens Mondfahrt“ oder „Mary Poppins“, surrealistische Zitate, diffuse Traumgesichter, einen Höllenhund im schwefelgelben Ambiente, das Obszöne und Grausame in einem Raum, der mit einem Vorhang abgetrennt ist. (Detlef Kuhlbrodt)
tip: Die Zusammenstellung der Künstler stellt sich als überaus gelungen heraus, beschäftigt sich doch jeder auf sehr spezifische Weise mit fantastischen Bildwelten. Den roten Faden bildet die Auseinandersetzung mit dem, was sonst nicht so sichtbar wird: dem Abwegigen, dem Verstörenden. (Michael Wagner)
ARTPROFIL: Die halluzinierte Welt – Malerei am Rand der Wirklichkeit. Zeitgenössische Kunst, welche der Tradition ihre Referenz erweist. (Michaela Buchheister)
http://www.artprofil-kunstmagazin.com/ausstellung.html
Opening: Tuesday, April 8, 2014, 7 PM
„In its refusal to accept as final the limitations imposed upon freedom and happiness by the reality principle, in its refusal to forget what can be, lies the critical function of phantasy.” (Herbert Marcuse, Eros and Civilisation, London 1969, p. 124)
Hallucinations can be described as a crisis of representation: What seems real is merely the product of imagination or illusion, caused by mental processes or under the influence of narcotic substances. Their decisive element is the realism of the hallucination and its status as a reality in the mind of the hallucinating, which may differ from actual reality in crucial aspects. With regard to the creative power of the human imagination, such phenomena were described as divinely-inspired visions in antiquity, but beginning in the 19th century they were increasingly defined as a subject for clinical psychiatry. Who sees what others do not is held to be crazy and stands outside of normal society.
Now the bizarre, disturbed and abysmal stands at the center of the exhibition „The Hallucinated World – Painting at the Edge of Reality“ at Haus am Lützowplatz. Transferred to painting, the term hallucination first of all refers to a corrupted rapport with reality. The rules of mimesis seem suspended. Interruptions and errors appear, with the medium of representation making itself felt. And yet, the term also describes a specific generative ability of painting to create a distinct salience. While sculptures by virtue of attachment to their material always remain a part of our tactile physical reality, paintings can disengage themselves from it as elusive phantasmata. Woven into such alternate realities, our drives, desires or fears become manifest.
With works by:
Tilo Baumgärtel
Emmanuel Bornstein
GL Brierley
Philip Grözinger
Eckart Hahn
Ruprecht von Kaufmann
Michael Kirkham
Bernhard Martin
Justine Otto
Alex Tennigkeit
Herbert Volkmann
Media partner:
Cover image: Tilo Baumgärtel, Helia, 2013, Oil on canvas, 200 x 150 cm (detail), Courtesy Galerie Kleindienst, Leipzig
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