Volkmar Haase
Tangentiale Berührung, 1988
Treppenskulptur, 1988
Der Berliner Bildhauer Volkmar Haase (1930-2012) erhielt 1987 den Auftrag zur „Neugestaltung der Eingangssituation“ vom Haus am Lützowplatz und schuf dazu zwei miteinander korrespondierende Skulpturen. Als kompositorisches Gegenstück zum eher waagerechten angelegten Treppenaufgang konzipierte er ein vertikal fast fünf Meter hoch aufragendes Gebilde, das in einer Kugelform mündet, die zangenartig an zwei Stellen gehalten wird (Tangente=Berührungspunkt von einer Geraden und einer Kurve). Im Unterschied zur abstrakten Form erfüllt die skulptural-ornamentierte Treppe einen konkreten Zweck, hat gleichzeitig schmückende und dienende Funktionen. Ihr grau gestrichenes Tragwerk verläuft in einer scharfen Kehrtwendung und wird an beiden Seite von einem aus Vierkantstangen geformten Geländer gefasst, dessen dynamisierte, scheinbar irreguläre Gestaltung Assoziationen an den Expressionismus weckt (Endlich, Stefanie: Skulpturen und Denkmäler in Berlin, Berlin, 1990, S. 159). Die Treppenskulptur wurde unter der Mitarbeit von Karl Menzen ausgeführt, der bei Volkmar Haase als Bildhauer ausgebildet wurde und in dieser Zeit auch seine ersten freien Arbeiten als Bildhauer verwirklichte.
Die beiden Skulpturen wurden mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin im Rahmen von größeren Sanierungsarbeiten und Umbauten am Gebäude realisiert. Diese Maßnahmen hatten direkten Bezug zur Internationale Bauausstellung 1987 und der Errichtung eines neuen „Wohnparks“ zwischen Lützowufer, Lützowstraße, Derfflingerstraße und Kurfürstenstraße an der Rückseite vom Haus am Lützowplatz. Anlässlich der Einweihung der beiden Skulpturen wurde die Ausstellung „Abstraktes Eisen: Volkmar Haase – Michael Friedrichs-Friedländer, Karl Menzen – Herbert Press“ im April 1989 eröffnet. Die aus diesem Anlass veröffentlichte Publikation trug den Titel „Öffnung: Plädoyer für eine Kunstschneise durch den Häuserwald“. Der bauliche Zweck von Haases Treppenskulptur war die Schaffung einer neuen Durchwegung zu den Ausstellungen und durch das Gebäude hindurch. Die Besucher*innen sollten die Galerie nicht mehr über das Treppenhaus des Miethauses betreten, sondern gelangten durch ein früheres Fenster direkt in die Ausstellungsräume im Hochparterre. An der Hofseite wurde eine Terrasse errichtet, von der aus man über eine Rampe zu einem „Kunstspazierpfad“ durch den neuen Wohnpark aufbrechen konnte, der auch über den Landwehrkanal bis zum Bauhaus Archiv führen sollte. Dazu heißt es in der vom Haus am Lützowplatz herausgegebenen Begleitpublikation: „Diese Kunstspazierpfäde sollten bei überraschungsreicher, möglichst idyllischer Streckenführung vorhandene, wenn möglich verkehrsarme Wegführungen oder Straßen nutzen und besonders durch Entkernung von Wohnblöcken entstehende Fußgängerbereiche einbeziehen. In ihrer gesamten Länge wären diese Bummel-Schneisen im 50-Meter-Abstand mit etwa 2,50 m hohen Objekten zu bestücken.“ (Text: Konrad Jule Hammer).
Das „Plädoyer für eine Kunstschneise durch den Häuserwald“ hat leider keine Wirkung entfaltet, auch wenn man seinerzeit von einem „Realisierungshorizont“ von 15 Monaten nach „Berliner Planungsverfahren“ ausging. Für das Haus am Lützowplatz als Ausstellungsort hat die Treppenskulptur indes große Bedeutung. Die expressiv-zeichenhafte Markierung des Eingangs und die unmittelbare Verbindung zum öffentlichen Raum haben die Ausstellungspraxis und die Präsenz vom Haus am Lützowplatz im Berliner Kunstbetrieb nachhaltig verändert. Zehn Jahre nach der Entstehung der Treppenskulptur wurde sie noch einmal künstlerisch wirksam. Das Kölner Künstlerpaar Anna und Bernhard Blume bereitete eine Ausstellung im Haus am Lützowplatz vor und implementierte darin unter dem Titel „Transzendentaler Konstruktivismus“ (November-Dezember 1998) Werke von Volkmar Haase. Kaspar König schrieb dazu in seiner damaligen Funktion als Rektor der Städelschule und des Portikus im Jahresrückblick des Stadtmagazins ZITTY: „Ich bin froh, daß ich den ‚Transzendentalen Konstruktivismus‘ in der ideoplastischen Gemeinschaftsausstellung im Haus am Lützowplatz gesehen hab. Die Ideo-Plastiker Anna und Bernhard Blume (Köln) und der Metallbildhauer Volkmar Haase (Berlin) haben sich zusammengetan, um in gegenseitiger Erhellung und produktiver Erleuchtung den Ideen-Hintergrund des ‚Transzendentalen Konstruktivismus‘ zu veranschaulichen. Anlaß zu dieser für mich höchst denkwürdigen Ausstellung war die von den Blumes spontan als ‚transzendentales Konstrukt‘ identifizierte Nirosta-Skulptur des Berliner Bildhauers. […] Diese schöne Ausstellung ist ein noch nicht genügend verstandener Hinweis auf das Virtuell-Werden traditioneller plastischer Materialien überhaupt.“ („14 Kuratoren und Kritiker bewerten die Jahresereignisse 1998 in Berlin“, Zitty, Nr. 1/1999).
Chiharu Shiota
Das Licht ist, wo Dein Herz ist, 2005
Seit 2006 ist im Eingangsbereich des Hauses am Lützowplatz die Installation „Das Licht ist, wo Dein Herz ist“ von 2005 der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota (*1972 in Osaka, Japan) zu sehen. Die sich in einer Vitrine befindende Arbeit (220 x 185 x 75 cm) besteht aus einem hellblau-weiß kariertem, im Brustbereich gesmokten Kinderkleid, das von einer sich im Kleid befindenden Glühbirne beleuchtet wird. Es ist in vielfach verknotete schwarze Wollfäden eingesponnen, die straff gespannt mit Nägeln an Decke, Wänden und Fußboden befestigt sind. Das im dunklen Wollgespinst schwebende Kleid hat etwas Flüchtiges. Es wirkt, als bewahre es nur die dichte Struktur der Wollfäden vor dem Entschwinden. Dennoch geht von dem illuminierten Kleid eine heimelige Wärme aus. Der Titel der poetischen Fadenskulptur „Das Licht ist, wo Dein Herz ist“ verweist dabei auf die Themen Erinnerung, Heimat, Identität, Verlust und Besitz, die in allen ihrer Arbeiten anklingen. Es ist die besondere Gabe von Chiharu Shiota Gegenstände zu finden, die bei den Betrachtenden meist intensive Gefühle hervorrufen. Eingebettet in einen Metallrahmen oder die architektonische Begrenzung tauchen Kleidung, Musikinstrumente, Möbel, Koffer und viele andere Gegenstände wie aus einem Nebel von schwarzen Wollfäden auf. Zunächst waren es ihre eigenen Besitztümer, der sie sich in den schwierigen Anfangsjahren in Berlin, wo sie seit 1997 lebt, vergewissern wollte: „I started weaving around my possessions, like a dress or my bed, marking my territory. Later, I started working with things that had already been used by other people, things that had their own memories.“ Der Prozess des Einspinnens ist dabei ein Akt der ephemeren Konservierung. Ein Versuch, einzufangen, was vergänglich ist und der Erinnerung so zumindest vorübergehend Raum zu verleihen. Für ihre Installationen verwendet sie ausschließlich rote oder schwarze Fäden: Rot, um auf das Innere des Körpers mit seinen verästelten Blutbahnen zu verweisen und Schwarz für Visualisierung der (unsichtbaren) Fäden, mit denen die äußere Welt zusammengehalten wird.
Dem in eine Fadenstruktur eingewebten Kleid kommt als einem ihrer wichtigsten Motive ein besonderer Stellenwert innerhalb ihrer Fadenskulpturen zu: Als Symbol für die Erinnerung an einen Menschen und die Verkörperung seiner Abwesenheit hat sie es in zahlreichen Varianten weltweit ausgestellt. Die Installation war Bestandteil der Einzelausstellung „Raum“ von Chiharu Shiota (4. Dezember 2005 bis 12. Februar 2006) im Haus am Lützowplatz und ist seitdem als Dauerleihgabe im Haus am Lützowplatz zu sehen.
Christian Jankowski
Die große Geste, 2012
Seit September 2016 sind an der Fassade vom Haus am Lützowplatz mehrere Parolen sowie farblich dazu gehörende Zeichen angebracht: “Orte für Kunst” umgeben von gelben Ovalen, “Die Kunst soll an dieser Stelle ein Zeichen setzen” und “Rolle der Kunst” neben einem roten Stern sowie “ein wichtiger visueller und emotionaler Bezugspunkt” neben einem grünen Kreis.
Der Ausgangspunkt dieser Arbeit von Christian Jankowski war 2010 die Einladung, ein ortsspezifisches Werk für den neuen Berliner Flughafen BER zu entwerfen. Jankowski erhielt dazu ein Dossier mit Anweisungen und Erläuterungen einer privaten Agentur, die von den Bauherren damit beauftragt worden war, den Kunst-am-Bau-Wettbewerb zu moderieren. Dieses Dossier enthielt Simulationen der Innen- und Außenansichten des Gebäudes sowie grafisch hervorgehobene Markierungen, die auf die Bereiche hinwiesen, in denen Kunstwerke vorgesehen waren. In der Eingangshalle war beispielsweise ein rotes Rechteck eingezeichnet, in dem sich selbst erklärend zu lesen war “Die große Geste” und „Repräsentation“ sowie “von allen Seiten sichtbar”.
Jankowskis Wettbewerbsvorschlag wurde nicht prämiert. Die Arbeit wurde jedoch 2012 realisiert und im selben Jahr temporär an der Züricher Hardbrücke als Teil des Festivals für Kunst im öffentlichen Raum in Zürich-West installiert. Sie fungiert als Metaebene eines Kunst-am-Bau- Projekts: Die kreative Leistung des privaten Unternehmens, das die Erwartungen, Wünsche und Bedingungen dokumentiert, um Kunst zu machen, verwandelt sich selbst zur Kunst. Jankowski hat die Phrasen und Markierungen aus dem Dossier mit der Hand abgepaust und in eine großformatige Sprach- und Zeichenskulptur aus lackiertem Aluminium transferiert. Die Notationen der Agentur befinden sich nun nicht mehr in der Simulation eines internen Konzeptpapiers, sondern in aller Öffentlichkeit. In dem Dossier artikuliert sich ungeschminkt die beabsichtigte Indienstnahme der Kunst für die Zwecke des Bauherrn. Gesucht wurde eine Kunst, die Aufmerksamkeit erregt und Gefühle weckt. Jankowskis Arbeit stellt diese Art Zweckgebundenheit von Kunst in Frage und spielt mit der ungewollten Komik dieser Form unternehmerisch-gesellschaftlicher Auftragserteilung.
Die “Große Geste” war Bestandteil der Einzelausstellung Die Legende des Künstlers und andere Baustellen von Christian Jankowski (15. September bis 20. November 2016) im Haus am Lützowplatz und ist danach in den Besitz des Vereins übergegangen.
Eine zweite Version der Arbeit befindet sich seit 2014 an der Wiener U-Bahnstation Donauspital. Das Kunst-am-Bau-Projekt wurde in Kooperation mit KÖR – Kunst im öffentlichen Raum Wien realisiert.
Foto: Jörg Reichelt