Eröffnung Donnerstag 23. Juni 2016, 19 Uhr
Mit: Ernie Luley Superstar, Franziska Maderthaner, Nguyen Xuan Huy, David Nicholson, Axel Pahlavi, Deborah Poynton, Till Rabus, René Schoemakers, Christoph Steinmeyer und Alex Tennigkeit
Kuratiert von Marc Wellmann
Die Ausstellung „Der feine Riss – Zeitgenössische Malerei auf dem historischen Feld“ bringt Malerinnen und Maler zusammen, die das Medium an klassische künstlerische Techniken binden und zugleich das historische Gewicht der Gattung mit einer radikal subjektiven Schaffenshaltung beantworten. Das handwerkliche Ethos malerischer Durcharbeitung als extrem zeitaufwändige künstlerische Praxis steht dabei in antagonistischer Spannung zur nervösen, flüchtigen Komplexität unserer heutigen Kultur, wie sie sich auf unterschiedlichen Ebenen in den Werken niederschlägt.
Das Bekenntnis zu den feinmalerischen Traditionslinien der Gattung, die sich seit über hundert Jahren im medialen Konkurrenzkampf gegenüber der Fotografie und anderen technischen Bilderzeugungsverfahren befindet, ist im aktuellen Kunstbetrieb eine Seltenheit. Die sinnliche Evidenz der bis in kleinste Details verfügbaren Sichtbarkeit eines derart gemalten Bildes, dessen visuelle Nähe mitunter auch in Schock umschlagen kann, erweist sich auch immer als vitalistisches Zeugnis einer raren Könnerschaft, an die bestimmte Abmachungen über Avantgarde und Akademismus gekoppelt sind.
Welche Haltung nimmt man zur philosophischen Ikonographie von René Schoemaker (*1972) ein, dessen Bilder im fast schmerzenden Naturalismus vor dem Auge stehen? Oder zu den extrem sinnlich aufgeladenen Vanitas-Allegorien von David Nicholson (*1970)? Die kunsthistorischen Verweise des in Berlin lebenden Vietnamesen Nguyen Xuan Huy (*1976) sind verwoben mit der Bildsprache des Kommerzes sowie der Propagandakunst seines früheren Heimatlandes. Das aus Wohlstandsmüll geformte Stillleben „Ikebana #4“ von Till Rabus (*1975) erfährt im scharfen Fotorealismus eine irritierende Überhöhung, zu dem auch das große Bildformat beiträgt. Dem gegenüber erscheint die aus analogem Bildmaterial komponierte Arbeit „Troy“ von Christoph Steinmeyer (*1967) wie eine surrealistische Traumvision: Der unvermittelte Kontrast eines minutiös ausgearbeiteten Weltallbildes mit der riesenhaften Ansicht eines freigelegten menschlichen Herzens verschmilzt zeitliche Kategorien vom Ewigen und Endlichen mit räumlichen Konzepten des Kosmischen und Irdischen. Die südafrikanische Malerin Deborah Poynton (*1970) ist mit einem als Akt gestalteten Selbstporträt vertreten, das die Ikonographie der biblischen Geschichte von Susanna im Bade aufgreift und bei dem die Vielschichtigkeit moderne Geschlechterrollen verhandelt wird. Die von Angst und Begehren geprägten Fantasien des Künstlers Ernie Luley Superstar (*1960) machen das Bild in seiner alten Macht als Fetisch erfahrbar. Die Berliner Malerin Alex Tennigkeit (*1976) zeigt ein verschlüsseltes Denkbild, das in seiner monumentalen Form als modernes Historiengemälde zu lesen ist. Der in Theran geborene französische Exil-Iraner Axel Pahlavi (*1975) stellt die Modelle in das magische Licht seiner von eigener Lebenszeit aufgeladenen Repräsentationen. Franziska Maderthaners (*1962) Verschmelzung von abstrakten Farbschüttungen mit kunsthistorischen Bildzitaten verweisen in Kontext dieser figürlich-realisitischen Auswahl von Malerei-Positionen auf das Gemachtseins des Mediums. Farbe auf einer Leinwand ist auf materieller Ebene nicht mehr und nicht weniger als Farbe auf einer Leinwand.
Im mäandernden Diskurs zwischen dem angeblichen Tod der Gattung Malerei und ihrer ungebrochenen Selbsterhaltung beweist sich ihre Verankerung in der Gegenwart nicht allein durch konzeptuelle Überformungen. Das Spektrum ihrer Potentiale ist weitaus größer. Während viele Künstler im Unscharfen, Vorläufigen, Dilettantischen oder Gestisch-Skizzenhaften verbleiben, um darin die Bruchstellen der Moderne aus der Perspektive einer zeitgenössischen Erfahrung kenntlich zu machen, fällt die bewusste Rückbesinnung auf klassische Themen und Maltechniken und deren virtuosen Beherrschung in eine Art theoretische Leerstelle. Der amerikanische Maler John Currin hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass zwar die Praxis der Malerei lebendig, aber die sie tragende Kultur in der Moderne gestorben sei, also das System ihrer Rezeption. Visueller Genuss würde deshalb bei den Betrachtenden mit einem Scham- oder sogar Schuldgefühl beantwortet. („John Currin im Gespräch mit Alison M. Gingeras“, in: Ausstellungskatalog „Lieber Maler, male mir …“ – Radikaler Realismus nach Picabia, Centre Pompidou, Kunsthalle Wien und Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2002, S. 74-78)
Die Ausstellung „Der feine Riss – Zeitgenössische Malerei auf dem historischen Feld“ unternimmt den Versuch einer Wiedereinsetzung von teilweise verschütteten ästhetischen Kategorien und prüft sie auf ihren Gehalt für die Gegenwart. Die Bildmacht der überwiegend großformatigen Arbeiten entfaltet sich in den hohen Räumen vom Haus am Lützowplatz als ein auf die Betrachter ausgerichtete Inszenierung. In den mannigfachen historischen Bezügen der gezeigten Werke, die von der Malerei des Renaissance und des Barock bis zur kühlen Distanziertheit der Neuen Sachlichkeit reichen, steht auch das Verhältnis von Originalität und Relevanz zur Frage. Es geht um die Frage, wie Kunst aus Kunst entsteht und dabei an kollektiv Bekanntes anschließt.
Pressestimmen (Auswahl):
Tagesspiegel: Man muss die Sujets nicht alle mögen, um sich vom Ansatz der Ausstellung gefangen nehmen zu lassen. Die Strategien der beteiligten zehn Künstler sind so unterschiedlich wie ihre Stile. Klar wird schließlich auch, weshalb sie den mühsamen Weg der aufwendigen malerischen Technik wählen, wo doch jedes Foto ähnlich scharf zeichnen könnte, was man auf den Tableaus zu sehen bekommt. Pahlavi, Poynton und die anderen fügen dieser mechanisch erzeugten Sicht eine Facette hinzu, die aus der Beschäftigung mit jenem „feinen Riss“ resultiert: den Bruch zwischen Realität und individueller Wahrnehmung, realistischer Malerei und ihrer ideologischen Vereinnahmung. (Christiane Meixner)
Zum Artikel
Berliner Zeitung: Andererseits hat sich die illusionistische Malerei, seit es die Fotografie und den Film gibt, in der Wirkung gewandelt. Sie erinnert nun stets ans Mittelalter und die modernen Medien zugleich, changiert zwischen Altmeistertum und Fotorealismus. Entsprechend ambivalent sind auch die Inhalte: ein Mix aus alten Mythen und aktuellen Symbolen. (Harald Jähner)
Zum Artikel
Bannerbild: René Schoemakers, Dystopia VII a/b, 2016, Acryl auf Leinwand,2-teilig, je 180 x 130 cm (Detail)