Eröffnung: Donnerstag 12. März, 19 Uhr
Kuratiert von Marc Wellmann
“Gegen den Tag” ist die wörtliche Übersetzung von frz. contre-jour, dem vor allem im Zusammenhang mit der Fotografie gebrauchten Begriff für Effekte einer frontal in die Kameralinse strahlenden Lichtquelle. „Gegenlicht“ führt vor allem zu harten Kontrasten und der Verminderung des Farbspektrums. Das Sichtbare zieht sich in extremer Form zu einem schwarz-weißen Scherenschnitt zusammen.
“Gegen den Tag” ist auch die deutsche Übersetzung des Titels von Thomas Pynchons sechstem, im November 2006 in den USA veröffentlichten Roman “Against the Day”, der einer Passage aus dem zweiten Petrus-Brief über die Verdammnis gottloser Menschen am Jüngsten Tag entliehen ist: “But the heavens and the earth, which are now, by the same word are kept in store, reserved unto fire against the day of judgment and perdition of ungodly men.” (2. Petr. 3,7)
Die Ausstellung “Gegen den Tag” bringt vier in Berlin lebende Künstlerinnen zusammen, deren Werke in jeweils unterschiedlichen Medien ihren Schwerpunkt haben. Gegenüber der vermeintlichen Eindeutigkeit des Faktischen bringen sie die Schattenseiten der Dinge zum Leuchten, befragen das Sichtbare im Unsichtbaren und durchstreifen die Welt des Doppelbödigen und Irrationalen.
Angelika Arendt (*1975)
Die filigran-versponnenen Tuschezeichnungen von Angelika Arendt, die an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Meisterschülerin von Helmut Dorner war, gehorchen sowohl in den Makrostrukturen als auch in ihren Mikrostrukturen einer vegetabilen Ornamentik, die sich als offener Prozess langsam über das Blatt ausbreitet. Man spürt regelrecht das Wachsen dieser exakt gestalteten Arbeiten im Atelier der Künstlerin. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man inmitten der freien, ohne Vorlagen entstandenen Fantasiewelten gleichsam Einschlüsse der äußeren Realität in Form von Architekturelementen oder wiedererkennbaren Blatt- oder Baumformen. Die wuchernde Üppigkeit und überraschende Vielfalt der im Prozess des Zeichnens eingewobenen Elemente hat ihren Ort in Angelika Arendts überbordender Fantasie, der sie sich in einem Vorgang überantwortet, der gleichzeitig von hoher Konzentration und der Macht des Unbewussten geprägt ist.
Weitere Informationen: www.angelikaarendt.de
Alexandra Baumgartner (*1973)
Die Beschäftigung mit der Psychoanalyse und den Abgründen menschlicher Gedanken und Gefühle beherrscht das Werk der österreichischen Künstlerin, die vornehmlich mit gefundenen Bildern und Objekten arbeitet. Ihre zum Teil drastischen, zum Teil äußerst subtilen Manipulationen dieser Fundstücke in Form von Übermalungen, zeichnerischen Ergänzungen, Vernähungen oder Einbrennungen zielt auf die Offenlegung einer darin gleichsam eingebetteten Schattenwelt. Ihre Bildobjekte treten im Ausstellungskontext häufig als installativ gehängte Gruppe bzw. als Paare in Erscheinung oder werden noch um plastische Objekte oder Möbelstücke ergänzt. Durch deren Kombination bietet sie ein zusätzliches Narrativ an, das letztlich allein von der Vorstellungswelt der Betrachterinnen und Betrachter geschaffen wird.
Weitere Informationen: www.alexandrabaumgartner.com
Fides Becker (*1962)
Auch wenn keine Menschen auf den jüngeren Bildern von Fides Becker abgebildet sind, so sind sie doch darin äußerst präsent. Die Malerei der in der Frankfurter Städelschule ausgebildeten Künstlerin zeigt Möbel, vor allem Sofas, Sessel, Vorhänge und Betten, in denen sich der menschliche Körper nicht nur durch diverse Verformungen abgedrückt hat, sondern in verschiedenen anthropomorphen Details als Projektion der Bertrachterinnen und Betrachter sichtbar wird. Die surreale Überblendung von gemachtem Objekt und biologischem Körper hat bei Fides Becker häufig eine sexuelle Dimension, weckt aber auch Gefühle des Unbehagens und des unerfüllten Begehrens. Die dünn und fließend aufgetragenen Farben ihrer Bilder lassen an Gouachen denken, doch sind sie in Eitempera und Acryl ausgeführt. Durch die offene Malweise wird die Leinwand als Träger und Haut des Bildkörpers erfahrbar, was insbesondere bei den Polster- und Vorhangbildern mit dem äußeren Abschluss der dargestellten Objekte zusammenfällt.
Weitere Informationen: www.fides-becker.de
Anna Lehmann-Brauns (*1968)
Die menschenleeren Räume, die die Fotografin Anna Lehmann-Brauns in ihrem von 2007 bis 2014 entstandenen Werkzyklus „Julia, Wege zum Glück“ in Szene setzt, sind zwar wirklich, das heißt sie existieren materiell, doch sind sie als Kulissen unterschiedlicher deutscher Daily Soaps gänzlich vom Fiktiven durchdrungen. Sie wirken real, doch es herrscht der Schein. Durch den dramatisch-poetischen Einsatz von Licht und Schatten legt Anna Lehmann-Brauns, die an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ausgebildet wurde, zudem eine zweite fiktionale Ebene über die bestehende Funktion als Filmhintergrund. Daraus entsteht ein eindringliches Kippbild: Die Räume bevölkern sich in der Vorstellung mit Schauspielern, Kamerateams, Ausleuchtern und all den anderen Personen, die bei einem Filmset anwesend sind oder waren. Doch in der Version von Anna Lehmann-Brauns wird der süßliche Stoff der Fernsehreihen von einer gebrochenen, abgründigen Traumwelt überlagert, die von Verlassenheit, Melancholie und gescheiterten Illusionen berichtet.
Weitere Informationen: www.annalehmannbrauns.de
Coverbild: Alexandra Baumgartner, Ohne Titel, 2014
Vebrannte Collage auf Spiegel, 26 x 21 cm
Presse:
Der Tagesspiegel: Anna Pataczek über „vier Künstlerinnen, die das Irrationale – von der Begierde bis zur Selbstreflexion erkunden“:
Berlín Amateurs: MARÍA MUÑOZ empfiehlt im spanischen Kulturmagazin Berlín Amateurs die Ausstellung GEGEN DEN TAG:
http://www.berlinamateurs.com/tipps-arte-59/
gallerytalk.net: Das Onlinemagazin für zeitgenössische Kunst verweist auf die Ausstellung GEGEN DEN TAG, die sich „mit dem Aufdecken subtiler, unsichtbarer und geheimnisvoller Welten beschäftigt“:
http://www.gallerytalk.net/2015/03/der-woechentliche-gallerytalk-kunstgriff-10-03-16-03-2015.html