
In seiner Ausstellung „Grenzenlose Gerechtigkeit“ verwandelt das russisch-deutsche Künstlerpaar Nina und Torsten Römer die Ausstellungsräume der Studio Galerie im Haus am Lützowplatz in eine kappellenartige Installation. Beim Betreten der Räume wird der Besucher von einer sakralen Atmosphäre empfangen. Malereien und Computerbilder werden durch die Installation zu Ikonen verwandelt, zu rituellen Objekten in einer unbekannten Liturgie, begleitet von religiöser Musik aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die mit elektronischen Elementen aufbereitet ist. Auf den zweiten Blick erkennt man die Zeichen, aus denen die Malereien und Computerbilder aufgebaut sind – das Bundeswehrkreuz und der NATO-Stern verschmelzen mit islamischen Schriftzügen.
Im Gewebe dieser Zeichen setzen sich Torsten und Nina Römer nicht nur mit dem offenkundigen, inflationär diskutierten „Krieg der Kulturen“ und ihrer Symbole auseinander. Vielmehr wird der sich nach den Terroranschlägen des 11. Septembers verschärfende Konflikt Anlass zur Reflektion über die Zeichen selbst, über ihre religiöse Faszination und ihre offenkundige Bedeutungslosigkeit im Angesicht der Wiedersprüche: Recht im Unrecht, Böses im Guten, Freiheit in der Unterjochung, Leben im Tod.
Vermeintlich „Gutes“ und „Böses“ werden im Bild zusammengeführt, verstrickt. Die unbekannten Buchstaben sehen teilweise wie scharfe Säbel aus, der NATO-Stern leuchtet zweierlei und suggeriert nebst Einheit der Verbündeten Visionen einer sich nach allen Himmelsrichtungen ausdehnender Expansion, das Bundeswehrkreuz, das praktisch unverändert die Gestalt des Reichs- und Wehrmachtskreuzes fortführt, erscheint nicht minder bedrohlich.
Die Unsicherheit um ethische Konnotationen der Zeichen wird in den Bildern deutlich, das Fremde und das Eigene werden in formalästhetisch der Op-Art verwandten Mustern verwoben, bloß geht es hier nicht um reine Kunst. Eher intensiviert dieses Zeichenspiel die Fragestellung, was ist „unser“, was ist „fremd“, was ist „nah“ und was „fern“ und wie kam es dazu? Der Sinn des Kunstwerk wird durch eine bewusst unflache, unplakative malerische Technik, hervorgehoben, eine gewisse Textur, eine Spur Gestik im Farbauftrag soll sichtbar bleiben. Auch in der Farbauswahl bezieht sich das Künstlerpaar ganz explizit auf geschichtliche Dimensionen: nazibraun, schwarz-weiß-rot der alten Kaiserflagge, das Braun ist zum Teil mit Terpentin behandelt, ähnelt einem Batikmuster und spricht von Zerstörung und Zerfall. Auf den ersten Blick mögen die Bilder ästhetisch ansprechend wirken, man wird durch eine vertraute Ästhetik angesprochen, die an Op-art, Arabesken oder an Orientteppich-Muster erinnert. Sobald man aber alle „beteiligten Zeichen“ identifiziert hat, kommt ein Akt provokativen Insistierens in der Wiederholung zum Ausdruck, da in jedem der Bilder dieselben Zeichen auftauchen. Das Anschauen dieser Bilder wird so zum Akt einer Selbstvergewisserung- und Positionierung, einem Erleben der deutschen Geschichte und der aktuellen Position. Fragen werden gestellt und es bleibt jedem selbst überlassen, eine Position zu beziehen.
Gleichzeitig bedeutet die Inszenierung der Logotype als Teile einer Kappelle, dass Nina und Torsten Römer das erschöpfte liturgische Potential der Zeichen in einem kulturellen Synkretismus neu aufladen. Über ornamentale Metamorphosen und Verschmelzungen, durch ständige Infragestellung und Neupositionierung wird das Zeichen wieder heilig, oder so wenigstens das Postulat. Aber werden solche Zeichen jemals wirklich zur Chiffre einer echten „grenzenlosen Gerechtigkeit“ jenseits der verworfenen Pentagonfloskel?
Viktor Kirchmeier (Köln) und David Riff (Berlin)
Biografisches
Nina und Torsten Römer arbeiten als Künstlerpaar seit 1998 in all ihren Arbeiten und Projekten zusammen. Sie sind beide Meisterschüler von Prof. A.R. Penck an der Kunstakademie Düsseldorf und haben zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland gemacht. Sie sind Initiatoren des internationalen Kunstprojektes M°A°I°S, welches zuletzt im Jahr 2001 mit einer großen Ausstellung in einem unterirdischen Bunker in Berlin in Erscheinung getreten ist, an der insgesamt 86 Künstlerinnen und Künstler aus verschiedensten Ländern teilgenommen haben.
Gemeinsame Ausstellungen (Auswahl)
1999 „BUG“ (Guppenausstellung), Galerie Parel, Amsterdam
2000 “Congress for Performance and Visual Art”, Centre of Contemporary Art, Sacramento, Kalifornien
M°A°I°S 2000, Künstlerische Leitung des Projektes im Hochbunker, Köln
Graphic House im Rahmen von „Cologne in Liverpool“ (Einzelausstellung), Liverpool
2001 „Lust und lustig“ (Gruppenausstellung und Performance), Dr. Sandmann Art Management, Berlin
„Format“ (Gruppenausstellung), Gruppe 10.000, Berlin
M°A°I°S 2001 „Der Tod“, Künstlerische Leitung des Projektes im unterirdischen Bunker, Berlin
„Fragile“ (Gruppenausstellung), Galerie Seidel, Köln
„Electronic Cash“ (Einzelausstellung mit Performance), Galerie PIN, Bielefeld
2002 „Global Fusion 2002“ (Gruppenausstellung), Palais Porcia, Wien
Galerie DiDa (Gruppenausstellung), Galerientag, Graz
„Sonno profondo“ (Gruppenausstellung), zusammen mit der Künstlergruppe „De Spegel“, Rom
Gestaltung eines Turmes auf dem Karneval der Kulturen, Berlin
„International Flag Art Festival“ zur WM 2002 (Gruppenausstellung), Seoul, Süd-Korea
Galerie Arka (Einzelausstellung), Vladivostok, Russland (Juli)
Galerie Süd-Ost Zentrum (Einzelausstellung), Berlin (September)
Preise 1996 Reisestipendium des Kunstvereins Düsseldorf (Torsten Römer)
M°A°I°S
Das Kunstprojekt M°A°I°S besteht seit 1998 und ist zuletzt mit einer großen Gruppenausstellung in einem Bunker in Berlin im Mai 2001 in Erscheinung getreten. Nina+Torsten Römer hatten dort in die unterirdischen Räume insgesamt 91 Künstler aus mehr als 20 Ländern zu einer gemeinsamen Ausstellung zu dem Thema „Der Tod“ eingeladen. Dazu ist ein Katalog erschienen. Es existiert eine Internet-Seite zu dem Projekt: www.mais-de.de. Kontakt: e-mail: torstenroemer@mais-de.de
Ausstellungsreihe 1↔1
Im Jahr 2002 ist das Kunstprojekt M°A°I°S zu Gast in der Studiogalerie im Haus am Lützowplatz. Unter der kuratorischen Leitung des russisch-deutschen Künstlerpaares Nina+Torsten Römer wird bis zum Januar 2003 die Ausstellungsreihe „1↔1“ realisiert. Immer jeweils zwei Künstlerinnen bzw. Künstler begeben sich zu einer Ausstellung in einen Dialog. Die Ausstellungen werden ebenfalls in dialogischer Form von zwei Kunstwissenschaftlern theoretisch begleitet. Zu jeder Ausstellung findet eine öffentliche Podiumsdiskussion statt. Zum Ende der Ausstellungsreihe erscheint eine Dokumentation in Form eines CD-ROM-Booklets.