Unter dem Titel „me and maybe you“ zeigten wir drei aktuelle, jeweils 10minütige Videofilme und erstmals auch 26 Objekte der 1974 in Zürich geborenen Künstlerin Bettina Disler.
Ihre Videos wurden international ausgestellt, mit Preisen wie dem Pink Apple Award (2001 für „Kimberly“) und dem Medienkunstpreis der Valiart Bank (2008) ausgezeichnet, durch Werkbeiträge gefördert (Migros Kulturprozent, 2006 und 2008; Stadt Zürich, 2010; Aargauer Kuratorium, 2011) und von renommierten Sammlungen und Museen angekauft (Kunstmuseum Bern, Kunstsammlung der Stadt Zürich, Sammlung Friedmann). In wenigen Monaten wird sie mit einem Atelierstipendium des Aargauer Kuratoriums nach London gehen.
In den hier gezeigten drei Videoarbeiten erforscht Bettina Disler in fast soziologischer Herangehensweise das Wesen der Liebe. Sie sucht nach ihr und ihrer Bedeutung für die heutige Gesellschaft.
Bereits der Ausstellungstitel „me and maybe you“ deutet an, dass bei einer Begegnung alle Möglichkeiten offen stehen. In einer Zeit, in der alles flüchtig-flexibel und immer in Bewegung zu sein scheint und es für vieles mehrere Möglichkeiten gibt. In dieser Zeit wird folglich auch das „me and you“ zu dem Potentialis „me and maybe you“.
Selbstverwirklichung steht im Vordergrund. Große Pläne für die Zukunft werden vorsichtshalber allein geschmiedet. Der Glaube an die Liebe schwindet. Tut er das wirklich?
Bettina Disler hat sich auf die Suche nach Menschen gemacht, die an die Liebe glauben, weil sie sie gerade spüren: Verliebte.
In ihrem 2010 in Berlin entstandenem Video „if love is the answer could you please rephrase the question?“ hat sie frisch verliebte Paare gemeinsam vor die Kamera gebracht. Mittels Split Screen wird eine Dreiecksbeziehung zwischen dem sich anstrahlenden Paar und den Betrachtern hergestellt. Die Zuschauer werden Zeugen von intimen Geständnissen, Komplimenten, Glücksüberschwang, sind hin- und hergerissen zwischen aufregendem Voyeurismus und peinlicher Beschämtheit, zwischen dem Wunsch, den Blick abzuwenden und der Faszination des Gesehenen.
Die Kunstkritikerin Brita Polzer schreibt über diese Arbeit: „Die Arbeit übt hypnotische Werkung aus, wobei die vibrierende Situation auch abschreckt. Man möchte Details genau sehen und ergründen und fühlt sich zugleich ob des an Idiotie grenzenden Ausnahmezustandes peinlich berührt. Verliebtheit, die man in ihrem Schmelz ansonsten verborgener behandelt, wird hier auf den analytischen Seziertisch gezerrt – wobei eine christliche Reinheit mitschwingt.“
Die Videoarbeit „silver lining“, „Hoffnungsschimmer“, 2011 entstanden, zeigt drei Frauen und drei Männer, die in einem farb- und perspektivlosem Raum um einen hölzernen Tisch gruppiert sind. Diese Personen, alle seit vielen Jahren single, berichten mit entwaffnender Ehrlichkeit von ihren Wunschvorstellungen von der perfekten Liebe. Getrennt aufgenommen, hat Disler die Protagonisten durch raffinierte Farb- und Lichtdramaturgie und eine ausgewogene Bildkomposition zu einem zeitgenössischen Sittenbild zusammengefügt. Trotz montierter körperlicher Nähe, bleiben sie ohne Bezugnahme aufeinander. Sie trennt eine unüberbrückbare Distanz, welche die emotionale Einsamkeit der anwesenden Individuen verstärkt zum Ausdruck bringt.
In einem tableau vivant verkörpern die Singles exemplarisch Prototypen unserer Gesellschaft, die uns – der Realität entrückt – an der Suche nach dem perfekten Gegenüber teilhaben lassen. Die streng inszenierte Anordnung liefert uns ein Extrakt von Idealvorstellungen der heutigen Gesellschaft.
In ihrem, zu Ausstellungsbeginn gerade erst fertig gestellten Video „Agape“ (2012) lässt Bettina Disler ältere Menschen auf die Liebe zurückblicken. In einfühlsamen Monologen erzählen sie von der (vermeintlich) wahren Liebe. Sie erscheinen als Experten, die auf ihr (Liebes) Leben zurückblicken und glauben, aufgrund ihrer Erfahrung, das Wesen der Liebe beurteilen zu können. Den rückschauenden Senioren, die gleichzeitig von vorne, von hinten und als unbewegliches Standbild zu sehen sind, ist halbverborgen im Interieur eine Kontrastfigur entgegengestellt, die als einzige an der Existenz von wahrer Liebe zweifelt. Sie sagt Sätze wie „Mich hat noch nie jemand wirklich geliebt“ und „Es gibt keine Liebe.“, die den Analysen der übrigen, die an dem Vorhandensein von Liebe keinen Zweifel haben, kontrastierend gegenüber stehen.
Sie zeigt die Komplexität der Gefühle, die zwischen Selbstdarstellung und Selbstbetrug hin- und herschwanken.
Bettina Disler hat mit den drei hier gezeigten Filmen eine Trilogie über die Liebe erschaffen, die verschiedene Nuancen derselben Fragestellung behandelt. Es geht um das Wesen der Liebe in einer Zeit, die stets die Kultur des permanenten Wechsels propagiert. Eine Zeit, in der nicht nur das Festlegen auf einen Partner/eine Partnerin Schwierigkeiten bereitet, sondern auch der stark ersehnte Traumpartner nirgends zu finden ist.
Die frisch Verliebten des ersten Filmes glauben eine Beziehung gefunden zu haben, die sie aus dem solitären Dasein befreit. Die Singles des zweiten Videos sind mit ihren wechselnden Gefühlslagen zwischen Zweifel, Hoffnung und Sehnsucht weiter allein. Die reiferen Semester glauben – mit einer Ausnahme – die wahre Liebe erlebt zu haben und geben sich zufrieden mit dem, was sie haben.
Bei allen drei Werken offenbart sich der fragile Zustand zwischen Wunschdenken, Selbstbetrug und Widersprüchen.