
Eröffnung: Freitag, 26. August 2022, 19 Uhr
Mein Land
kuratiert von Cornelia Renz und Asja Wolf
Mit Werken von:
David Adam
Manaf Halbouni
Cornelia Renz
„Du bist hier in meinem Land! Meine Welle und mein Strand!“ Mit diesen Worten besang Till Lindemann in dem 2011 mit seiner Band Rammstein veröffentlichen Lied „Mein Land“ eine unerwartete Selbsterfahrung von Ausgrenzung. Der Hinweis, dass „hier nichts mehr frei sei“, fokussierte aber zugleich eine wachsende Xenophobie und den Verlust tradierter Heimat. Rammstein schreibt Hymnen an die deutsche Angst und dekonstruiert sie.
Vor dem Hintergrund dieser Angst und ihrer Folgen verhandelt die Ausstellung den ambivalenten Heimatbegriff in einer „flüchtigen Moderne“ (Zygmunt Bauman) mit ihren Globalisierungserfahrungen und fluiden Machtstrukturen. Der Vereinnahmung des emotional konnotierten Narrativs Heimat durch rechte Stimmen im Sinne einer völkischen Ideologie begegnet die Romantisierung von Heimatfantasien in kommerzieller Folklore.
Ausgehend von den unterschiedlichen Herkunftskontexten der Künstler*innen lenken die gezeigten Arbeiten den Blick auf globale Konflikte, Grenzziehungen und nationale Identitäten. Daraus ergeben sich weitergehende Fragen zum Zustand empfundener Ortlosigkeit und Heimat als unerfüllten Sehnsuchtsort. Ernst Bloch beschreibt es im „Prinzip Hoffnung“ als etwas, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.“ Heimat ist zunächst kein Ort, sondern die Erinnerung an eine unwiederbringliche Kindheit und vielleicht ein Geruch von frisch geschnittenem Gras. Die Nation, eine bürgerliche Gesellschaft, kirchliche oder kulturelle Institutionen als Illusion zu erkennen ist eine existenzialistische Erfahrung. Sie führt zu Emigration und Exil. Letzteres ist eine Metapher für Entfremdung, die so universell ist, dass sie keinen Ort braucht und auch keine Heimat als Gegenort. Heimat ist Nichtort, οὐ τόπος. Heimat ist Utopie. Hannah Arendt, die 1937 den Nationalsozialisten entkam, empfand das Recht auf Heimat als Selbstverständnis und Menschenrecht schlechthin. Falsch verstanden wird dieses Recht dagegen Ideologie und Triebkraft für nationale und ethnische Konflikte.
Am Ende steht die dringende Notwendigkeit einer menschenfreundlichen Definition von Heimat, nicht als Herkunftsbezeichnung, sondern als Utopikum, denn Heimat umfasst die Welt als Ganzes und sie ist ein wichtiger Schlüssel für die Kultur einer kommenden Gesellschaft.
„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“ ist die Schlusszeile eines Gedichts, das Thomas Brasch zu seiner Ausreise aus der DDR 1976 schrieb. Das Verlorensein zwischen zwei Welten ist auch den Arbeiten der hier gezeigten Künstler*innen inne – zwischen Ost und West, Orient und Okzident, dem Allgäu und Berlin. In der Kunst kann die utopische Qualität des Heimatbegriffs ihren Widerhall finden.
David Adam wurde 1970 in Dresden in der ehemaligen DDR geboren. In frühen fotografischen Arbeiten dokumentiert er das Vorwendegeschehen aus der Mitte gesellschaftlicher Umwälzungen und setzt sich dabei nicht selten dem Risiko staatlicher Gewalt aus. Nach dem Fall der Mauer absolviert er ein Kunststudium in der sächsischen Landeshauptstadt und kehrt ihr zunächst den Rücken. Das ambivalente Verhältnis zu seiner Geburtsstadt bewegt ihn schließlich zur Rückkehr. Mit Auftreten der Ressentimentbewegung Pegida 2014 wendet er sich der direktesten aller Kunstformen zu. Mit Aktionen im öffentlichen Raum kommentiert er die gesellschaftlichen Verwerfungen und Spuren des neurechten Personals, humorvoll und gleichsam kompromisslos. Als Kunstfigur Dada Vadim thematisiert er die Rolle des Künstlers als „Schmerzensmann“ der Gesellschaft.
Manaf Halbouni wurde 1984 in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren. Um dem Wehrdienst in seiner Heimat zu entgehen, kam er 2008 nach Dresden, in die Geburtsstadt seiner Mutter. Dort setzte er sein 2005 in Damaskus begonnenes Kunststudium fort. Nach Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 verschwand die Perspektive seiner Rückkehr. Er blieb in Deutschland und lebt heute in Berlin. Als „subversiver Kartograph“ widmet sich Halbouni Geschichtsverläufen und gegenwärtigen Konflikten in einer Mischung aus Fiktion und historischen Fakten. Mit seinen Projekten entlarvt er westliche Darstellungen vom „Orient“ als Stereotypen und kehrt Geschichtsnarrative auf eine tragikomische Weise um.
Cornelia Renz wurde 1966 in Kaufbeuren im bayrischen Allgäu geboren. Nach der Wende übersiedelte sie nach Sachsen und absolvierte ein Kunststudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin, Tel Aviv und Jerusalem. Als Deutsche in Israel beschäftigt sie sich mit Fragen zum Verhältnis von einheimisch, vertrieben und zugewandert. In ihrer künstlerischen Praxis der Collage und Installation verbindet sie Figuren aus der Populärkultur mit Fragmenten aus der Kunst- und Mediengeschichte und autobiografischen Fundstücken. Die so entstandenen neuen Kontexte dekonstruieren kulturelle Normen wie tradierte Rollenbilder.
Diese Ausstellung wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung von: