Eröffnung: Donnerstag, 11. November 2021, 19 Uhr
Verena Issel hat für ihre Ausstellung „Pandora Papers“ erstmals mit einem Material gearbeitet, das sehr selten in der zeitgenössischen Kunst anzutreffen ist: Filz. Es entsteht durch das Walken von gekämmter Schurwolle. Die Fasern werden dabei zu einem haltbaren Verbund gebracht, indem sich die mikroskopisch kleinen Plättchen auf der Oberfläche der Tierhaare ineinander verhaken. Issel formt mit dem selbstgewalkten Filz bunte, comichafte Bilder, die dann auf einem festen Trägermaterial fixiert werden; entweder direkt auf der Wand oder auf Leinwänden, die über Keilrahmen gespannt sind.
Die insgesamt dreizehn Filzbilder in der Ausstellung tragen Titel wie „Vettern ersten Grades“, „Eine Hand wäscht die andere“, „Saufbrüder“ oder „Seilschaft VII“ und sind von der Künstlerin in einer komplexen Rauminstallation miteinander in Beziehung gesetzt worden. Tragende Motive sind schattenhafte, schwarze Formen auf den Wänden und dem Boden des Ausstellungsraums sowie seil- oder röhrenförmige Gebilde, die auch teilweise auf Elemente der Bilderrahmen antworten.
Das Arrangement wirkt auf den ersten Blick spielerisch und farbenfroh und operiert auf der materialikonographischen Ebene mit kindlichen Assoziationen. Filzbilder sind tatsächlich größtenteils in Kindergärten, Schulen und Bastelkursen anzutreffen. Das liegt zu großen Teilen an ihren haptischen Qualitäten. Filzbilder wollen angefasst und gestreichelt werden. Doch das geht bei Verena Issels Arbeiten natürlich nicht. Zudem verbergen sich hinter der flauschig-fluffigen Oberfläche der Bilder durchaus ernste Themen.
Für Verena Issel ist Kunst eine Methode, um die Welt anders zu sehen und zu begreifen. Ihr auf allen Ebenen wirksamer Humor ist letztlich subversiv. Und so hat sie auf sehr spezielle Weise auf den Ausstellungsraum der IG Metall reagiert. Der zur Herstellung des Bildmaterials notwendige Vorgang der Verfilzung ist bei Issel eine Metapher gesellschaftlicher Zusammenhänge. Den legendären „Berliner Filz“ zwischen Bauwirtschaft und Politik in Zeiten der Hochsubvention war ihr Ausgangspunkt um über alle Arten „unsauberer“ (Issel) menschlicher Verstrickungen nachzudenken. Auf dieser gleichzeitig abstrakten und sehr konkreten Ebene geht es ihr um die Durchwebung der Gesellschaft mit Strukturen der Macht.
Der Titel der Ausstellung verweist auf das bis dato größte Leak über sogenannte Steueroasen und benennt die wirksamsten Mittel gegen Korruption und Schattenwirtschaft, nämlich eine unabhängige Justiz und einen ebensolchen Journalismus.
(Text: Marc Wellmann)
Ausstellungsflyer (gestaltet von Andreas Koch)
Verena Issel
Die Künstlerin wurde 1982 geboren und studierte freie Kunst an der HfbK Hamburg sowie klassische Philologie an der Universität Hamburg. Zahlreiche Reisestipendien und Artist in Residency-Programme führten sie unter anderem nach Russland, Taiwan, Südkorea, Japan, Litauen und Papua-Neuguinea. In den letzten Jahren widmeten ihr u.a. die Volksbühne Berlin (DE), das ZARYA Center for Contemporary Art (RU), die Trafo Kunsthall (NOR) sowie der Westfälische Kunstverein / LWL Museum Münster Einzelpräsentationen. 2020 war Verena Issel Gastprofessorin an der HfbK Hamburg.
Weitere Informationen zu Verena Issel
Wo die wilden Würmer wohnen Verena Issels „Pandora Papers“ (Lara Brörkenm Gallery Talk.net, 25. November 2021):
„Alles ist verschachtelt, alles und jede*r, die*der diesen Raum bewohnt, hat eine Beziehung miteinander. Grenzen des Möglichen scheinen aufgeweicht und verwischt zu sein. Als hätten die im Raum skulptural inszenierten Schläuche und Staubwedel ihre Aufgaben in einem sozialpolitischen Haushalt ausgeübt. Sie haben zwischen den Bewohner*innen niedrige Schwellen herausgeputzt. Hier scheinen alle zufrieden und ganz gelöst zu sein. In diesen Momenten wird Issels Anliegen spürbar. Ihre Arbeiten sollen nicht nur bespaßen, sondern auch auf tieferer Ebene gesellschaftspolitische Gedanken anregen“
https://www.gallerytalk.net/pandora-papers-verena-issel/
Seit 2014 kooperiert das Haus am Lützowplatz (HaL) mit dem IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen und verantwortet zweimal im Jahr die Ausstellungen in dem 1929/30 von Erich Mendelsohn errichteten Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes an der Alten Jakobstraße. Dies ist das letzte Projekt im Ausstellungsraum der IG Metall. Ende des Jahres wird der Betrieb dieses hauseigenen Präsentationsortes auf Beschluss der Leitung des IG Metall Bezirks eingestellt. Insgesamt 15 Ausstellungen wurden im Rahmen der Kooperation mit dem Haus am Lützowplatz (HaL) von 2014 bis 2021 dort neben eigenen Projekten realisiert.
Mo – Do von 9:00 bis 18:00 Uhr
Fr von 9:00 bis 14:30 Uhr