Im Jahre 1996 wird auf dem Gelände des ehemaligen Künstlerheims für Literatur und Film in Petzow, Brandenburg der Verein Kulturpunkt STILUS e.V. gegründet, dessen Ziel es ist, als schöpferisches Forum unterschiedliche, auch gegensätzliche Sichtweisen auf die Welt und den Menschen zu reflektieren. Seit ungefähr 10 Jahren veranstaltet der Verein Diskussionsforen, Lesungen, Ausstellungen und künstlerische Aktionen, um durch unterschiedliche Betrachtungsweisen in den Bereichen Bildende und Darstellende Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Politik, Literatur und Religion zu größerem gegenseitigen Verständnis zu gelangen.
Für das Haus am Lützowplatz wird das Gründungsmitglied Klaus Brenneisen gemeinsam mit den Mitgliedern Dejo Denzer, Ellen Ernst und Ekkard Gaede ein Ausstellungskonzept erarbeiten.
Mit dieser Ausstellung soll das Interesse unseres Vereins an kritisch denkenden Zusammenschlüssen zum Ausdruck gebracht und gute Projekte in nachbarschaftlichem Verhältnis gefördert werden.
ÜberBrücken
Kunst im Dialog
Beunruhigt über die Entwicklung des Miteinanderlebens und Miteinanderumgehens der Menschen in unseren Nachbarschaften und unseren Städten hat eine kleine Gruppe von Künstlern damit begonnen, den Zustand unserer heutigen Gesellschaft zu sichten.
Bei der Aufarbeitung dieses Vorhabens ist ein Dialog entstanden, der die Widersprüche zwischen alten und neuen Werten, Schein und Sein, Arm und Reich aus unterschiedlichen Sichtweisen aufdeckt. Ein Dialog, der versucht mit den Mitteln der Kunst Brücken zu bauen zwischen Nationalitäten und Religionen. Der durch Malerei, Installation und provokative Inszenierung Ansagen macht, was es in der Zukunft zu tun gibt, um der Unübersichtlichkeit, Zerbrechlichkeit und Intoleranz Überschaubarkeit, Beständigkeit und Menschlichkeit entgegenzusetzen.
Ein streitbarer Dialog aber auch, der Grenzen aufzeigt, die nicht überwunden werden können, Widersprüche, die nicht auflösbar sind und Welten, die keine Zukunft mehr zu haben scheinen.
Ein Dialog, da sind sich die Künstler einig, der immer auch ein politischer sein wird, indem er die Gesellschaft und jeden einzelnen dazu anregt, Toleranz nicht nur zu predigen, sondern sie zu leben, nicht nur über Brücken zu gehen, sondern auch unter die Brücken zu schauen.
Ein Dialog, der mit dieser Ausstellung nicht enden kann, der auf Fragen vielerlei oder gar keine Antworten findet, der fragmenthaft bleiben wird, so wie auch die Kunst immer nur Zeichen setzen und Mahnungen aussprechen und allenfalls Visionen von einer besseren Zukunft haben kann.
Gabriele Tille-Tagge
Beteiligte Künstlerinnen und Künstler:
Vimala Roberta Berton
Überbrücken – nichts ist getrennt – Malerei und Installation
Alles ist schon miteinander verbunden und deshalb beeinflussbar. Man kann nicht etwas tun ohne eine Kette von Mikro- und/oder Makro-(re)aktionen in Gang zu bringen. Und der Mensch trägt Verantwortung. Im Raum steht ein „Homo Reliquum“, sein Beitrag und der schon irreversible Einfluss auf den Ozean = das Leben. Ein Leben ohne Plastik scheint heutzutage undenkbar, aber es ist schon in unserem Blut. Wie damit umgehen?
Jaroslaw Broitman
Realität und Wahrnehmung – Malerei
Wenn man den Begriff der Brücke als Verbindung zwischen Materialität von Form und Farbe und der Wahrnehmung versteht, bedeutet Malen für mich ein Erzeugnis zur Entstehung zu bringen, das, aus dem Malprozess entlassen, für den Betrachter wie den Maler selbst sich als Reflexion menschlichen Daseinserlebnisses darstellt.
DEJO Denzer
Evolution sozialer Systeme – Malerei, Skulptur, Zeichnung
DEJO Denzer beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen den Geschlechtern wie auch denen innerhalb und zwischen Gemeinschaften. Diese Interaktionen übersetzt er in eine ironisch-heiter anmutende Bildsprache. Er definiert als Basis aller sozialen Netze die mentalen Brücke zwischen Menschen. Diesen Brückenbau macht er in der Foto-Performance Brain-Bridge Project zusammen mit Gästen sichtbar.
Ellen Ernst
„Zeitbrücken“ oder der Wandel der Werte – Malerei
Die Malerin thematisiert die moderne globalisierte Gesellschaft , aber auch die Vereinzelung und Suche der Menschen nach ihrer Identität. In ihren teilweise reliefartigen Gemälden aus Spachtelmasse, Sand, Acryl und Collageelementen stellt sie Wertesymbole unterschiedlicher Zeitepochen gegenüber, lässt sie zu archäologischen Fundstücken werden oder im Wüstensand versinken und hinterfragt deren Bedeutung für spätere Generationen. Was wollen wir erhalten und weitergeben? Welche gemeinsamen Wurzeln und Werte verbinden uns unabhängig von kulturellen Entwicklungen und Gesellschaftssystemen?
Ekhard Gaede
Globale soziale Entwicklungen im Widerspruch – Fotografie
Hinterfragt wird die Möglichkeit einer Regulierung des globalen politischen, ökonomischen und sozialen Ungleichgewichts im Sinne Scheich Bedreddins (15. Jh.) – literarische Wiedergabe durch Nazim Hikmet im „Epos von Scheich Bedreddin“ – und J. J. Rousseaus (18. Jh.) – Contrat social `62“: „Der Boden gehört niemandem, die Früchte allen.“ Der Versuch einer künstlerischen Umsetzung durch Fotografie und Textcollage.
Thomas Kleinschmidt
Unter den Brücken – Konzeptkunst, Installation und Performance
Ich muss die Welt nicht retten, sie ist gut genug für euch. Und sie ist aus Worten gemacht, Buchstaben sind ihre Spur. (J. P. Sartre) so, oder ähnlich wird es unter den Brücken immer wieder in die Wände gekratzt. Schimmelnde Bilder verrotten. Es gibt keine Rettung, keinen Trost. Erschöpft und ermattet, bestenfalls trunken, werden die immer gleichen, täglichen Rituale vollzogen. Dort unten gibt es keinen Gott, der sich erbarmen könnte. Es gibt nichts, und nicht mal das, nichts hat dort unten Bedeutung. Schon Cäptain Lumin formulierte so treffend: warum im selben Boot sitzen, wenn es sowieso untergeht.
Heide Lüders
Wege des Ichs – Malerei und Grafik
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind miteinander verwoben. Dieses Wissen ist Grundlage meines Selbstverständnisses und meiner Auseinandersetzung mit diesem Thema. In der Gegenüberstellung von Frauen der Antike und Künstlerinnen der Gegenwart, die eingebunden in ihrem gesellschaftlichen Kontext selbstbestimmt ihren Lebensweg gehen, möchte ich positive Impulse geben und Werte wie menschliche Wärme und Güte, Mut und Stärke, Klugheit und Kompetenz aktualisieren. Für mich ist das Besinnen und Ausloten der eigenen Möglichkeiten ein Weg – auch über Brücken – sich der Verwirklichung eines wahrhaft schöpferischen Verhältnisses zum Leben zu nähern.
Jürgen Rudow
Widerspruch als Brücke – Dokumentarfilm und Fotografie
Widersprüche, polare Zweiheit – das sind die einheitlichen Wesensmerkmale aller Einzelleben – solange, – ja solange sie leben. Nur tote Dinge sind eindeutig und ohne Widersprüche. Brücken vereinen, – eliminieren Unterschiede, Gegensätze, Widersprüche, nehmen Spannungen heraus. Leben aber braucht neben Einheit, Ruhe, Geborgenheit und Statik auch Spannung, Unterschied, Polarität, Bewegung – ein Dilemma unseres lebendigen Daseins, das metaphysisch nicht zu lösen ist. Polare Unterschiede bedingen Einheit. Überbrücken? …mal ja, mal nein – das ist die immer wiederkehrende Frage. Nicht Kirchner, Nolde, Pechstein, nicht Heckel oder Schmitt-Rottluff haben darauf rational geantwortet. Also: – Auf nach „Karabanicha“!
Fred Tille
Metropolisblues. Vorher, Dabei und Nachher – Malerei
Metropolis. Überall und nirgends. Düstere Katakomben und ewige Gärten. Heiter und sorglos im bröckelnden Arkadien. Die brennenden Hochhaustürme von Sarajewo und New York? Weiter. Bikiniatoll, Seveso, Bophal und Tschernobyl? Weiter, weiter. Ruanda, Bagdad und Kabul? Weiter, immer weiter. Lehman Brothers? Ozonloch und Multi-GAU? Weiter! Business as usual. Netznomaden verloren im Global village. Es steht nicht gut um uns. Innehalten? Weiter, immer weiter. Am Ende, wenn nichts mehr geht, zerschellen alle Verdrängungen, Hoffnungen und Verheißungen. Es ist soweit. Endzeit. Rien ne va plus! Metropolisblues. Ein Bildertanz im Stand-by-Modus einer vermeintlich goldenen Zeit.
Gabriele Tille-Tagge
Respondes ergo sum. Du antwortest mir, das reicht aus, um zu erkennen, dass ich bin – Street Photography
Menschen – verloren, verlassen, vereinzelt, vergessen. Erst der Dialog entlässt sie aus ihrem Sosein und ihrem Dasein. Er hilft Brücken schlagen über Grenzen hinweg zu einer humaneren und lebenswerteren Welt. Am Du wird der Mensch zum Ich. Gabriele Tille-Tagge findet die Motive für ihre Fotografien häufig zufällig, aber meist auf der Straße, im Vorübergehen. Sie siedelt ihre Themen bewusst im nordafrikanischen Raum an, angetrieben von dem alten Wunsch nach der Versöhnung zwischen Orient und Okzident, wo Nationalitäten und Religionen einander respektieren und ergänzen, wo Menschen sich die Hand reichen und in ihrem Gegenüber ihren Bruder erkennen.