
Die stadt- und weltbekannte Helga Sophia Goetze hat seit Beginn der achtziger Jahre ein gewaltiges, faszinierendes Universum von gestickten Bildern geschaffen. Allein für die Stickereien, die sie mit feinem Stickgarn auf einfachem Nessel anfertigt, gebührt ihr ein Platz in der Kunstgeschichte, wie ihn Künstler wie Jean Dubuffet, Adolf Wölfi oder Louis Soutter einnehmen. Sie benutzt keinen Rahmen; sie zeichnet die Figuren, Vögel, Landschaften, Texte mit schwarzer Kohle vor und beginnt oben links in der Ecke mit dem Sticken.
Aber ihr künstlerisches Werk hat bisher in der breiten Öffentlichkeit nur wenig Beachtung gefunden. Das soll unsere Ausstellung ändern.
Bekannt ist Helga Sophia Goetze eher als komische Alte, die mit ihren 84 Jahren noch immer täglich – wie seit 20 Jahren – an der Gedächtniskirche steht, „Mahnwache“ hält, und ihre Botschaft verkündet: „Wer nimmt die Sexualnot der Jugendlichen wahr?“ Diese Schamanin will durch dichterische Sprache Bewusstheit erschließen. Sie macht sich ihre Gedanken, wie die Gesellschaft verändert werden kann, und will wissen, ,,wie alles zusammenhängt“. Ausdruck davon sind ihre über 3.000 Gedichte, die sie in den letzten 35 Jahren geschrieben hat, genauso wie ihre mehr als 300 Bilder, die ihre Botschaften und Anschauungen in gestickten Bildtafeln sinnlich darstellen. Das größte dieser Stickwerke misst 2,00m x 2,00m, (13 Göttinnen).
Teppiche wie Grundformen der Angst, Bewusstheit – Bewusstsein, Ein Mann wird, Eine Frau ist, Die Wolfsfrau, Du kriegst, was Du bringst, sind ca. 80cm x 80cm groß. 22 Tarotkarten und viele andere Bildteppiche haben ein Format von 30cm x 20cm. Wir zeigen diese und andere Stickereien und eine Auswahl ihrer Gedichte.
Helga Sophia Goetze wurde 1922 in Magdeburg in eine normale Familie geboren. Mit 20 Jahren, 1942, heiratet sie einen 12 Jahre älteren Mann. Von Magdeburg ziehen sie 1949 nach Hamburg, wo der Ehemann 1950 eine Anstellung bei der Deutschen Bank annimmt. Sie haben gemeinsam sieben Kinder – fünf Mädchen und zwei Jungen.
Die Ehe funktioniert so lange, bis sie mit Erlaubnis ihres Ehemannes in Sizilien eine Nacht mit einem Mann, Giovanni, verbringt. Danach bricht sie aus ihrem wohlbehütetem Hausfrauendasein aus: Sie zieht sich im Fernsehen nackend aus, sie ist der Skandal des Jahres, der Ehemann reicht die Scheidung ein, sie geht los, lebt erst in Hamburg, gründet eine WG mit freier Sexualität, und kommt auf Umwegen 1978 nach Berlin, Kreuzberg. Seit 1982 wohnt sie in Charlottenburg, in der Schlüterstrasse 70, Gartenhaus. Am Haus hat sie mit Zustimmung des Hausbesitzers eine Messingtafel anbringen dürfen: Helga Sophia Goetze, Geni(t)ale Universität, Lehre und Forschung, tägl. geöffnet von 17 bis 19 Uhr.
Karin Pott wird bei der Eröffnung in das Werk von Helga Sophia Goetze einführen.