Harry Clemens Ulrich Graf von Kessler (1868-1937) hatte eine ganz eigene Welt zur Verfügung. In ihr bewegte er sich mit großer Entschlossenheit. Entweder war er allen anderen voraus, oder blieb auf eine ungeahnte Weise hinter allen zurück. Oder er war auf eine Weise gegenwärtig, dass es den Anderen schwindlig wurde. Unter seinen vielen Eigenschaften und Tätigkeitsfeldern wie Kunstsammler, Mäzen, Schriftsteller, Publizist, Pazifist, Verleger, Diplomat, Plauderer und unermüdlicher Kaffeehaus und Restaurantbesucher, besaß er noch eine in besonders hohem Maße: was ihm misslang, auch wenn er es mit der allergrößten Energie verfolgt hatte, das konnte er ohne Schmerzen aufgeben. Das verlieh ihm eine Beweglichkeit und seinen Handlungen eine Frische, die ihn über seine Zeitgenossen emporhob. In drei Kulturen, der englischen, französischen und deutschen, von Kindheit an vertraut, könnte er noch heute den Entwurf eines zukünftigen idealen EU-Bürgers abgeben. Als er fünfzig Jahre alt war, wechselte er das politische Pferd und ritt von rechts nach links. Er verdiente sich den Titel „Der rote Graf“. Er stellte in seiner Cranach Presse die kostbarsten Bücher her und lief in den Nächten der Novemberrevolution jedem Gewehrfeuer entgegen. Er war ein Universum, aus dem wir nur einen schwachen Kometenschweif erkennen lassen können. Aber auch das ist schon ungeheuerlich.