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Eröffnung: Mittwoch, 14. September 2022, 19 Uhr
Kuratiert von Marc Wellmann im Dialog mit Philip Grözinger
Mit Werken von:
Bettina von Arnim
Maxim Brandt
John Cage
Louisa Clement
Sabine Groß
Philip Grözinger
Bjørn Melhus
Katja Novitskova
Mette Riise
Michael Schmidt
Nina E. Schönefeld
Markus Wirthmann
Im Zentrum des Referenzsystems der Ausstellung „ÜberLeben – Fragen an die Zukunft“ steht der Film „Soylent Green“ von 1973, der im Jahr 2022 spielt und ein Zukunftsszenario entwarf, das von extremer Überbevölkerung und den dadurch hervorgerufenen ökologischen Problemen handelt.1 Auch die globale Erwärmung durch die Nutzung fossiler Brennstoffe wird thematisiert, lange bevor in der Wissenschaft darüber Konsens herrschte.2 Da die Ozeane leergefischt sind und nicht mehr genug Agrarflächen zur Verfügung stehen, werden die Menschen im Jahr 2022 von künstlich hergestellten Nahrungsmitteln ernährt, welche die ethisch korrumpierte Oberschicht von der Firma Soylent3 heimlich aus Leichen produzieren lässt. Die enthemmte Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, so die Botschaft des Films, mündet in einem auf Gewalt beruhenden, sich gleichsam selbst verschlingenden Gesellschaftssystem, das alle moralischen und ethischen Prinzipien verloren hat.
Der Film gilt als erste massenwirksam rezipierte Ökodystopie und ist eng verbunden mit dem Beginn eines neuen Bewusstseins über die Gefährdung des Planeten durch den Menschen. So wurde am 22. April 1970 der erste „Earth Day“ begangen, um auf die globalen Probleme der Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. 1971 wurde Greenpeace in Kanada gegründet. Im März 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen „Bericht zur Lage der Menschheit: Die Grenzen des Wachstums“ (The Limits to Growth). Im selben Jahr fand in Stockholm die erste Weltumweltkonferenz statt, und bei der 17. Apollo-Mission, die im Dezember 1972 startete und bei der zum letzten Mal ein Mensch den Mond betrat, wurde das sogenannte „Blue Marble“-Foto unseres im Weltall treibenden Planeten aufgenommen. Viele Umweltbewegungen haben den darin aufgehobenen „Overview-Effekt“, der sowohl die unermessliche Schönheit als auch die Gefährdung unseres Planeten beinhaltet, als Symbol aufgegriffen. Richard Buckminster Fuller prägte schon etwas früher den damit verbundenen Begriff „Raumschiff Erde“ durch seine 1968 erschienene Publikation „Operating Manual for Spaceship Earth“. Eine aktuelle Dokumentation des Fernsehsenders arte, die seit Ende September 2022 über die Mediathek abrufbar ist, behandelt genau diese Zusammenhänge.
Die deutsche Version des Films kam 1974 mit dem stakkatohaften Untertitel „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ in die Kinos und wurde am 5. September 1981 erstmals im Abendprogramm der ARD ausgestrahlt.4
Vor der Folie des fast 50 Jahre alten Blicks in eine Zukunft, die nun Gegenwart geworden ist, bietet die Ausstellung mit zwölf künstlerischen Positionen einen vielstimmigen Reflexionsraum an, von dem aus, unterstützt durch ein diskursives Programm, wiederum in unsere eigene nahe und ferne Zukunft geschaut werden kann. Die im Film verhandelten Themen werden dabei genauso angesprochen, wie die Geschichte des spezifischen Filmgenres und die möglichen Perspektiven unseres eigenen Überlebens.
Bjørn Melhus (*1966) schuf für die Ausstellung in expliziter Resonanz auf den Film „Soylent Green“ eine neue Videoarbeit, die die berühmte Sterbeszene mit dem Schauspieler Edward G. Robinson behandelt. Nina E. Schönefeld (*1970) zeigt die Serie von Videoarbeiten, „Trilogy Of Tomorrow“ (2018–19), in denen Umweltaktivist*innen und Hacker*innen für politischen Wandel, Meinungsfreiheit und den Erhalt der Natur in einer nahen Zukunft kämpfen. Auf komplexe, selbstreflexive Weise befragt die dänische Künstlerin Mette Riise (*1992) mit ihrem Video „The Less Unsustainable Talk Show“ die persönliche Aktualität des Club of Rome-Berichts. Die eigens für die Ausstellung geschaffene raumfüllende Skulptur von Sabine Groß (*1961) setzt eine Zeitschleife zwischen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in Gang, die von unserer Einbildungskraft erzeugt wird. Katja Novitskova (*1984), die sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Problem der Biodiversität auseinandergesetzt hat, behandelt in der ausgestellten Cut-Out-Skulptur das Auswilderungsprogramm des vormals nur noch in Gefangenschaft existierenden kalifornischen Kondors. Louisa Clement (*1987) nimmt in ihrer neuen Serie sogenannter „Stellvertreterinnen“ eine transhumane Perspektive auf den eigenen Körper ein und verweist damit auf den ungesicherten Fortbestand der Menschheit in ihrer jetzigen Form. Markus Wirthmann (*1963) pflanzt ein reales Ökosystem in die Ausstellung ein, das auf einem geschlossenen Nahrungskreislauf zwischen Fischen und Pflanzen beruht und auf das gescheiterte Biosphäre-Experiment in der Wüste von Arizona verweist. Neben neuen Werken des Ko-Kurators Philip Grözinger (*1972) und des in Berlin lebenden ukrainischen Künstlers Maxim Brandt (*1986) zeigt die Ausstellung Gemälde Bettina von Arnims (*1940) aus den 1970er Jahren, die das Thema der Agrartechnologie in eine menschenfeindliche Zukunft projizieren. Ebenso historisch ist das Gedicht „Overpopulation and Art“, das John Cage (1912–1992), kurz vor seinem Tod im Kontext der Stanford Universität vortrug, sowie Fotografien aus der „Lebensmittel“- Serie von Michael Schmidt (1945–2014), die von 2006 bis 2010 während mehrerer Reisen entstanden sind und in denen die Bedingungen industrieller Nahrungsproduktion auf eindringliche Weise visualisiert werden.
1 Mit Charlton Heston in der Hauptrolle und unter der Regie von Richard Fleischer. Das Drehbuch von Stanley R. Greenberg geht zurück auf die die 1966 erschienene Novelle „Make Room! Make Room!“ von Harry Harrison, ist aber thematisch anders ausgelegt. Großen Einfluss auf das Setting und die Rezeption des Films hatte die populärwissenschaftliche Abhandlung „The Population Bomb“ (1968) von Paul R. und Anne Ehrlich, in der die existentielle Bedrohung unseres Planeten durch Überbevölkerung in grellen Szenarien heraufbeschworen wird.
2 Erste Nachweise für diese Kausalität erbrachte 1977 ein Wissenschaftler des EXXON-Konzerns. Allgemein anerkannt ist der sogenannte „Treibhauseffekt“ auf wissenschaftlicher Ebene seit Anfang der 1990er Jahre.
3 Der Name des Unternehmens ist ein Kofferwort aus „soy“ (Soja) und „lentil“ (Linse). Mit Bezug auf den Film hat der Softwaredesigner Rob Rhinehart Anfang 2014 ein gleichnamiges Nahrungspulver auf den Markt gebracht, das bis heute vertrieben wird.
4 Im Jahr 1980 wurde in Berlin die Band „Soilent Grün“ gegründet, der Farin Urlaub und Bela B angehörten und aus der dann 1982 „Die Ärzte“ hervorgingen.
Pressestimmen (Auswahl)
„Kurator Marc Wellmann über die Ausstellung „ÜberLeben“: „Es geht um Hoffnung“ Berlin Art Week Der Kurator und Kunsthistoriker Marc Wellmann sah den Filmklassiker „Soylent Green“ und stellte fest: der spielt ja heute, im Jahr 2022! Im Haus am Lützowplatz stellt er die Frage, was das nun über unsere Gegenwart aussagt.“
(Philipp Hindahl. Der Freitag, Ausgabe 36/2022)
„Im Haus am Lützowplatz geht es um das nackte Überleben, um Essen, Lebensmittel und Ressourcen. Der Künstler Philip Grözinger und Kurator Marc Wellmann haben sich das Thema ausgedacht. Ihr Ausgangspunkt ist der Science-Fiction-Film „Soylent Green“, der vor knapp 50 Jahren in die Kinos kam und im Jahr 2022 spielt. Neben älteren Arbeiten etwa von der Malerin Bettina von Arnim und von John Cage sind Beiträge von Jüngeren zu sehen. So wird Bjørn Melhus eine neue Videoarbeit beisteuern, die sich direkt auf Fleischers Film bezieht. Und Katja Novitskova, 2020 für den Preis der Nationalgalerie nominiert, zeigt ausgeschnittene Digitalprints mit einem Kondor als Sinnbild für das Bemühen, eine bedrohte Vogelart mit Hilfe ausgewilderter Zuchtexemplare überleben zu lassen.“
(Claudia Wahjudi, tip Berlin, 15.9.2022)
„1973 zeigt “Soylent Green” die Zukunft. Im Film ist die Welt 2022 überbevölkert, die Umwelt bedroht. Und nun ja, als haltlos hat sich die Prognose nicht gerade bewiesen. Die Ökodystopie von Richard Fleischer ist Referenzgröße der Gruppenausstellung “ÜberLeben – Fragen an die Zukunft” im Haus am Lützowplatz.“
(Anna Meinecke, gallery talk net, 15. 9.2022)
„Ebenfalls bemerkenswert ist die von Marc Wellmann im Dialog mit dem Künstler Philip Grözinger kuratierte Gruppenausstellung „ÜberLeben – Fragen an die Zukunft“ im traditionsreichen Haus am Lützowplatz: Werke von Björn Melhus, Bettina von Arnim, Sabine Gross und anderen zum Thema Klimakatastrophe werden da vorgestellt. Zum Teil treten diese Arbeiten in einen Dialog mit dem Film „Soylent Green“, 1973, ein. Der Film des Regisseurs Richard Fleischer spielt im Jahre 2020 und gilt als erste Ökodystopie im Mainstreamfilm. Die engagierte Show versucht dem Thema, trotz des bisherigen politischen Totalversagens bei der Bekämpfung der fortschreitenden Klimakatastrophe, ansatzweise auch hoffnungsvolle Aspekte abzugewinnen.“
(Raimar Stange, artmagazine.cc, 18.92022)
„Was erwartet uns im neuen Jahr? Es gibt wohl kaum einen Moment, in dem wir mehr an unsere Zukunft denken als der Anfang eines neuen Jahres. Dazu passt die Ausstellung, die sich aber nur noch in dieser Woche anschauen können: „ÜberLeben – Fragen an die Zukunft“ im Haus am Lützowplatz.“
(Marie Kaiser, radio eins, 4.1.2023)
Opening: Wednesday, September 14, 2022, 7 pm
SurVival – Questions to the future
Curated by Marc Wellmann in dialogue with Philip Grözinger
With works by:
Bettina von Arnim
Maxim Brandt
John Cage
Louisa Clement
Sabine Groß
Philip Grözinger
Bjørn Melhus
Katja Novitskova
Mette Riise
Michael Schmidt
Nina E. Schönefeld
Markus Wirthmann
At the center of the reference system of the exhibition “ SurVival – Questions to the future“ is the 1973 film „Soylent Green“, which is set in the year 2022 and depicts a future scenario that deals with extreme overpopulation and the ecological problems it causes. 1 It also addresses global warming caused by the use of fossil fuels, long before there was a consensus in the scientific community about the associated climate change.2 Since the oceans have been fished out and there is no longer enough agricultural land available, people in 2022 will be fed on artificially produced food, which the corrupted upper class is having secretly produced from corpses by the company „Soylent“. 3 The unrestrained exploitation of natural resources, according to the message of the film, leads to a social system based on violence, which devours itself, as it were, and which has lost all moral and ethical principles.
The film is considered the first ecodystopia to be received by the masses and is closely associated with the beginning of a new awareness of the threat posed to the planet by mankind. Thus, the first „Earth Day“ was celebrated on April 22, 1970, to draw attention to the global problems of environmental destruction. In 1971, Greenpeace was founded in Canada, and in 1972 the Club of Rome published its report on the state of humanity: „The Limits to Growth“. In the same year, the first so-called World Environment Conference was held in Stockholm and the so-called „Blue Marble“ photo of the planet drifting in space was taken during the 17th Apollo mission, which started in December 1972 and in connection with which a human being set foot on the moon for the last time. Many environmental movements have taken up as a symbol the „overview effect“ suspended in it, which contains both the immeasurable beauty and the endangerment of our planet. Richard Buckminster Fuller coined the associated term „Spaceship Earth“ somewhat earlier through his 1968 publication Operating Manual for Spaceship Earth. A recent documentary by the TV channel arte, which has been available via the Mediathek since the end of September 2022, deals with precisely these connections.
The German version of the film was released in 1974 with the staccato like subtitle „… year 2022 … who want to survive“ and was first broadcasted on September 5, 1981 in the evening program of ARD.
Against the backdrop of this nearly 50-year-old look into a future that has now become the present, the exhibition offers a polyphonic space for reflection with twelve artistic positions, from which, supported by a discursive program, we can in turn look into our own near and distant future. The themes negotiated in the film are addressed as well as the history of the specific film genre and the possible perspectives of our own survival.
Bjørn Melhus (*1966) created a new video work for the exhibition in explicit response to the film „Soylent Green“, which deals with the famous death scene with actor Edward G. Robinson. Nina E. Schönefeld (*1970) shows the series of video works, „Trilogy Of Tomorrow“ (2018-19), in which environmental activists* and hackers* fight for political change, freedom of expression, and the preservation of nature in a near future. In a complex, self-reflexive way, Danish artist Mette Riise (*1992) interrogates the personal relevance of the Club of Rome report with her video „The Less Unsustainable Talk Show.“ The room-filling sculpture by Sabine Groß (*1961), created especially for the exhibition, sets in motion a time loop between future, present and past, created by our imagination. Katja Novitskova (*1984), who in recent years has increasingly addressed the problem of biodiversity, deals in the exhibited cut-out sculpture with the reintroduction program of the Californian condor, which formerly existed only in captivity. Louisa Clement (*1987) takes a transhuman perspective on her own body in her new series of so-called „Stellvertreterinnen,“ pointing to the unsecured continuation of humanity in its current form. Markus Wirthmann (*1963) plants a real ecosystem in the exhibition based on a closed food cycle between fish and plants, referencing the failed Biosphere experiment in the Arizona desert. In addition to new works by co-curator Philip Grözinger (b. 1972) and Berlin-based Ukrainian artist Maxim Brandt (b. 1986), the exhibition features paintings by Bettina von Arnim (b. 1940) from the 1970s that project the theme of agricultural technology into an anti-human future. Equally historic is the poem „Overpopulation and Art,“ recited by John Cage (1912-1992), shortly before his death in the context of Stanford University, as well as photographs from the „Food“ series by Michael Schmidt (1945-2014), taken during several trips from 2006 to 2010, which vividly visualize the conditions of industrial food production.
1 Starring Charlton Heston and directed by Richard Fleischer. The screenplay by Stanley R. Greenberg goes back to the 1966 book „Make Room! Make Room!” by Harry Harrison, but is thematically different. A major influence on the setting and reception of the film was the popular science treatise „The Population Bomb“ (1968) by Paul R. and Anne Ehrlich, which warns of the threat to our planet from overpopulation in lurid scenarios.
2 A scientist from the EXXON group provided the first evidence of this causality in 1977. The so-called “greenhouse effect” has been generally recognized on a scientific level since the early 1990s.
3 The company’s name is a portmanteau of „soy“ and „lentil“. Referring to the film, software designer Rob Rhinehart launched a nutritional powder of the same name in early 2014, which is still being sold today.
4 In 1980 the band „Soilent Grün“ was founded in Berlin, to which Farin Urlaub and Bela-B belonged and which evolved to “Die Ärzte“ in 1982.
Partner der Berlin Art Week / Partner of Berlin Art Week
Weiterführende Links / Related links:
Intergovernmental Panel on Climate Change (Weltklimarat)
UN Biodiversity Conference (COP 15)
United Nations Framework Convention on Climate Change (COP 17)
Deutsche Gesellschaft Clube of Rome
50 Jahre Die Grenzen des Wachstums
Volksbegehren Berlin 2030 klimaneutral
German Zero: Deutschland bis 2035 klimaneutral
Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)
Globaler Klimastreik #PEOPLENOTPROFIT
23. September 2022
Herbst Rebellion Berlin 17.-20. September 2022
Earth Day (22. April 1970)
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Programm zur Ausstellung
14. September 202219:00 Uhr
ÜberLeben - Fragen an die Zukunft
Eröffnung 16. September 2022
15:00 Uhr
ÜberLeben - Fragen an die Zukunft
Kuratorenführung 13. Oktober 2022
19:00 Uhr
Zero Waste
Ausstellungsgespräch mit Lena Fließbach 26. Oktober 2022
19:00 Uhr
Soylent is not people!
Ausstellungsgespräch mit Anne Waak 10. November 2022
19:00 Uhr
DEADLY FRUITS - From Earth Rise to Weltuntergang!
Lecture Performance von Bjørn Melhus 01. Dezember 2022
19:00 Uhr
This is not only a climate problem, this is a system problem.
Künstlerinnengespräch 07. Dezember 2022
18:00 Uhr
When did the future switch from being a promise to a threat?
Ausstellungsgespräch mit Georg Diez